EURO: 5 Gründe für das Scheitern von Österreich

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Drei Spiele – Nur ein Punkt. Für Österreich endet die EURO 2016 in Frankreich mit einer herben Enttäuschung. Für Sportreport analysierten Thomas Muck und Dominik Hana die Gründe für die Heimreise nach der Gruppenphase und kamen dabei auf fünf Gründe.

Leistungskurve zeigt 2016 nach unten
Die Qualifikation zur EURO 2016 war schlichtweg historisch. Ausdrücke wie „legendär“ waren nicht zu hoch gegriffen. Das Nationalteam begeisterte über die komplette Spielzeit mit forschem Angriffsfußball. Die Truppe von Teamchef Marcel Koller zeigte begeisterten Fußball und löste damit eine Euphorie aus.

An diese bärenstarken Leistungen konnte das Nationalteam im Kalenderjahr 2016 jedoch nicht anschließen. Die Leistungen in den vier Testspielen vor der EURO waren schlicht durchwachsen. Gute Startphasen wurden rasch von Leerläufen und sportlichen Ungenauigkeiten abgelöst. Daher ist es keine Überraschung, dass die Länderspielbilanz 2016 negativ ausfällt. Zwei Siege stehen einem Unentschieden und vier Niederlagen gegenüber.

Auffällig war, dass die Leistungskurve bei den meisten Teamspielern nach einer langen, anstrengenden Saison nach unten zeigte. Hinzu kam, dass viele Teamspieler in ihren Vereinen keinen Fixplatz in der Startelf behaupten konnten. In der Vorbereitung auf die EURO gelang nicht mehr die Trendumkehr. Woran lag es? Die Gründe dafür kann man nur bei jedem Spieler einzeln herausfiltern. Nüchtern analytisch gesprochen, liegen die Gründe von „Verletzung im Vorfeld der EURO“ zu „geistig müdegespielt“ bis hin zu „mangelnde Lockerheit“. Etliche Spieler wollten bei dieser EURO schlichtweg zuviel und haben sich so in den Leistungskeller manövriert. Das dürfte erfahrenen Akteuren eigentlich nicht passieren.

Nibelungentreue des Teamchefs als Boomerang
Der Grad zwischen „Held“ und „kritischer Nachfrage“ in der Schlagzeile eines Journalisten ist sehr schmal. Im Punkt der personellen „Nibelungentreue“ war die EURO in Frankreich ein mahnendes Beispiel dafür. In den vergangenen Jahren fuhr Teamchef Marcel Koller in seiner Personalentscheidung damit ausgezeichnet, bei der EURO sollte sie sich als Boomerang erweisen.

Als Beispiel kann hier Schalke-Legionär Alessandro Schöpf genannt werden. Nach dem Ausfall von Werder-Spielmacher Junuzovic war er „der aufgelegte Ersatzmann“. Die Spielstile der beiden Mittelfeldspieler ist definitiv unterschiedlich. Schöpf hätte aber Junuzovic auf seiner Stammposition ersetzen können. Das zeigte der Tiroler im letzten Test vor der EURO und in der zweiten Halbzeit gegen Island. Die Nibelungentreue auf den Kader der Qualifikation zu setzen in den vier Halbzeiten davor hat sich als Eigentor für Marcel Koller erwiesen.

„Fehlender Plan B“
Das gescheiterte Experiment in der ersten Halbzeit gegen Island hat ein Defizit von Österreich gnadenlos aufgedeckt. Das System lautet 4-2-3-1 – in den ersten Minuten wird gnadenlos gepresst. Mit Fortdauer des Spiels wird dieses von Zlatko Junuzovic bestimmt, der auch die Schlagzahl vorgibt.

Wie gut der Plan A ist hat die Qualifikation gezeigt. Nach einem Unentschieden zum Auftakt, gab es nur noch Siege. Damit wurde aber ein Problemfeld der Nationalmannschaft gnadenlos kaschiert. Weder personell, noch im taktischen Bereich fehlt der sprichwörtliche „Plan B“. Was tun in schwierigen Situationen, wenn das eigene System gegen den Gegner nicht greift? Das Spiel gegen Ungarn, ab Minute 15, und die erste Halbzeit gegen Island zeigten diese Schwächen ungeschönt auf.

Mag es an der personellen Nibelungentreue des Teamchef hängen, aber auch auf dem Spielersektor ist der „Plan B“ kaum zu erkennen. Es ist zutreffend, dass Ausfälle wie Junuzovic, Baumgartlinger oder Janko aufgrund ihrer Spielweise nicht adäquat ersetzbar sind. Mit den Spielern aus der zweiten Reihe (zB Schöpf, Okotie) hat man nicht das Gefühl, dass ihre Stärken auch zu 100 Prozent mit dem „Plan A“ kompatibel sind.

Stammposition für David Alaba
Leider war es nicht die EURO von David Alaba. Die Gründe dafür scheinen hausgemacht. Der Bayern-Legionär ist auf der Position des Linksverteidigers ohne Abstriche „Weltklasse“. Im zentralen, defensiven Mittelfeld ist der 23-Jährige auf dem Weg in selbige Bereiche vorzudringen. Bei der EURO musste David Alaba in drei Spielen, drei Positionen einnehmen. Dies und der Umstand, dass der Bayern-Legionär nach 46 Pflichtspielen für seinen Verein geistig überspielt wirkte, sorgte nicht für Höchstleistungen.

David Alaba feiert am 24. Juni seinen 24. Geburtstag. Für einen Fußballer ein noch sehr junges Alter. Die besten Jahre liegen definitiv noch vor dem gebürtigen Wiener. Mehr und mehr scheint jedoch seine universelle Einsetzbarkeit zu einem Problem zu werden. Unter Ex-Trainer Pep Guardiola wurde David Alaba als linker- und als Innenverteidiger eingesetzt. Im Nationalteam zentraler und offensiver. Die Zeiten in denen Spieler mehrere Positionen gleichwertig spielen können sind aber vorbei. Experimente, wie auf der zentralen, offensiven Mittelfeldposition mögen zwar im Training für Unterhaltung sorgen, in einem Pflichtspiel tut man damit weder der Mannschaft, noch dem Spieler eine „gute Tat“.

Erwartungshaltung
Auf die Euphorie im Vorfeld des Turniers kommt nun der große Dämpfer. „Können wir Europameister werden“ oder „das Viertelfinale ist schon Pflicht“ war im Vorfeld der EURO zu hören. Jetzt ist das ganze Land sprichwörtlich am Abgrund. Zwischen „Weltmeister bei der Europameisterschaft“ bis zu Totalversager geht es in Österreich extrem schnell. In vielen Punkten hätte mehr nüchterne Analyse und ein klarer Kopf diese Achterbahnfahrt durchaus verhindern können. Erfolg und Misserfolg liegen also sehr nahe beeinander.

Lehren für die Zukunft
Es ist also vollbracht. Der „Endrundenfluch“ ist besiegt. Ein Tor bei der EURO ist geschossen. Ivo Vastic ist somit aus den jüngeren Geschichtsbüchern verdrängt. Die WM-Qualifikation steht unmittelbar bevor und diese wird aufgrund der Gegner definitiv kein Selbstläufer. Österreich besitzt tolle Einzelspieler und hat eine realistische Chance sich für Russland zu qualifizieren. Dazu müssen aber die Spieler in ihren Vereinen als Stammkräfte am oberen Ende ihrer Leistungsskala spielen. Dafür müssen die richtigen Lehren aus der EURO 2016 gezogen werden und sich die Mannschaft und das Trainerteam weiterentwickeln. Der Grad in Österreich ist – wie erwähnt – ein sehr schmaler. Die Zukunft sieht definitiv besser aus als es jetzt so manche sehen. Mit einer „kontinuierlichen (Weiter-)Entwicklung des Produkts Nationalmannschaft“ kann dieses Team eine bessere Rolle spielen als heuer in Frankreich.

23.06.2016