Rapid Wien, Analyse

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Der zarte Aufwärtstrend bei Rapid Wien ist vorbei. Nach der 31. Runde der tipico Bundesliga hat Rapid Wien die sportliche Krise wieder eingeholt. Die Hütteldorfer taumeln durchs Saisonfinish. Wichtige sportliche Lehren aus den letzten Wochen wurden nicht gezogen. Eine Analyse von Thomas Muck.

Wenn man behaupten würde, dass es sportlich bei „Grün-Weiß“ läuft wäre es schlicht und ergreifend falsch. Der Verein befindet sich in einer seit Monaten andauernden Abwärtsspirale! Die Gründe dafür sind auf den ersten und zweiten Blick genau ersichtlich:

„Rapid kann den Abstiegskampf sportlich nicht!“
Rein sportlich betrachtet hat Rapid einen sehr guten Kader zusammengestellt. In Punkto Technik, Spielverständnis und taktischer Ausbildung stehen Spieler unter Vertrag, die ihre Zukunft wohl auch in größeren Ligen verbringen können/werden. Für den Fall einer Krise werden aber andere Qualitäten benötigt.

Es gilt den Kampf, den unbändigen Willen an die erste Stelle zu stellen. Gerade jetzt würden Spieler wie der abgegebene Grahovac wie der sprichwörtliche „Bissen Brot“ benötigt. Rapid Wien fehlt im Mai 2017 ein/mehrere Spieler, der diese Tugenden besitzt. Den unbändigen Willen, ein Spiel durch Energie und Kraft gewinnen zu wollen. Diese Tugenden sind im Abstiegskampf äußerst wichtig und entscheiden über Erfolg und Misserfolg. Abstiegskampf und sportlicher Misserfolg erfordert mehr als „Kampf auf dem Spielfeld“. Ein entscheidendes Defizit! Sportdirektor Bickel wäre für die kommende Saison gut beraten in diesem Aspekt nachzulegen.

„Rapid kann den Abstiegskampf mental nicht!“
Die Situation im Tabellenkeller ist aus vielerlei Hinsicht äußerst schwierig. Für viele Spieler aber auch Vereinsangestellte geht es um den eigenen Job. Eine Situation, die mental keineswegs einfach ist. Existenz- und Versagensängste drücken auf die Psyche der Betroffenen.

Hier gibt es ein Grundproblem. Rapid Wien hat im Kader der Kampfmannschaft zwar mit den Ex-Admira-Spieler wie Dibon, Schwab oder Auer Erfahrung im Abstiegskampf. Jedoch hat kein Spieler in der jüngeren Vergangenheit Erfahrung im Abstiegskampf gesammelt. Die einfache Begründung: Der Kader wurde unter anderen Anforderungspunkten zusammengestellt. Dementsprechend fehlen in dieser Situation die so genannten „Mentalitätsbiester“.

Trainer und Spieler in Punkto Kommunikation nicht auf derselben Wellenlänge
Die Tabelle lügt nicht – Nach 31 Runden hat Rapid Wien nur 34 Punkte auf dem Konto. Die Hütteldorfer befinden sich auf Platz sieben. Der Vorsprung auf Schlusslicht SV Ried beträgt sechs Punkte. In fünf Runden ist – aus Sicht des Rekordmeisters – die Alptraumsaison endlich vorbei. Bis dahin gilt es aber, die nötigen Punkte einzufahren im Kampf um den Klassenerhalt. Aufgrund der zuletzt gezeigten Leistungen scheint dies alles andere als ein Selbstläufer zu sein.

In dieser Situation ist die „externe Kommunikation“ sehr wichtig. Hier sprechen Trainer und Spieler eine unterschiedliche Sprache. Ein Beispiel gefällig? Mittelfeldspieler Stefan Schwab spricht nach dem Spiel bei der Admira offen von Abstiegskampf. Interimstrainer Goran Djuricin nimmt dieses Wort jedoch nicht in den Mund. Warum? Es gilt von Seiten des Trainerteams und der Spieler in einer Sprache nach außen zu kommunizieren. Der ehemalige Sportdirektor Helmut Schulte erklärte in seiner Funktion, dass „die Wahrheit dem Menschen zuzumuten ist“. Und diese lautet im Mai 2017: Abstiegskampf!

In puncto „einheitlicher Kommunikation“ würde es gut tun, wenn Trainer und Mannschaft in der öffentlichen Darstellung in die gleiche Kerbe schlagen. Der äußere Eindruck in diesem Aspekt darf daher keinesfalls als „harmonisch“ bezeichnet werden.

Auf den ersten Blick mag dieser Punkt als vernachlässigbar erscheinen. Es darf aber als durchaus verwunderlich bezeichnet werden, wenn Spieler vom eigenen Coach eine bessere sportliche Situation vorgesetzt bekommen. Verschafft Trainer Djuricin seinen Spielern mit solchen Aussagen möglicherweise sogar ein sportliches Alibi?

4-2-3-1 um jeden Preis? Auch wenn das verfügbare Personal dafür nicht passt?
Goran Djuricin hat nach seiner Amtsübernahme eine auf den ersten Blick richtige Entscheidung getroffen. Weg von der – von den Spielern wenig geliebten – Dreierkette im Abwehrbereich und zurück zum altbewährten 4-2-3-1. Ein Schritt, der im ersten Spiel gegen schwache Altacher von Erfolg gekrönt war. Auf den zweiten Blick liegt hier aber auch ein Problemfeld in der aktuellen Situation.

Die adäquate Besetzung des zentralen Mittelfelds und der Spielmacherposition scheinen in der aktuellen Situation nur zum Teil möglich. Nach der Verletzung von Mocinic und dem Abgang von Grahovac fehlt im Zentrum defensiv wie in der Spieleröffnung wichtiges Personal. Diese beiden Personalien konnte Rapid Wien in Wahrheit nicht aus dem laufenden Kader kaschieren. Im offensiven Zentrum ist der alternde Kapitän Steffen Hofmann auf dem Spiel nicht zu ersetzen.

Die Personalalternativen für die drei Positionen sind überschaubar oder haben selbst Probleme im körperlichen Bereich bzw. der aktuellen Form. Beispiel Schwab: Nach seiner schweren Verletzung agiert der Mittelfeldspieler sehr bemüht, aber glücklos. Kritiker meinen, dass der 26-Jährige körperlich noch nicht dieselbe Dynamik hätte wie vor der Verletzung. Die sportliche Misere einzig und alleine am gebürtigen Salzburger aufzuhängen wäre unfair und würde nicht die Wahrheit widerspiegeln.

Ein Ausweg aus der angespannten sportlichen Situation könnte eine Adaptierung im sportlichen System sein. Das dieses Mittel zum Erfolg führt, zeigt ausgerechnet Lokalrivale Austria vor. Seit der Umstellung von 4-2-3-1 auf ein variableres 4-3-3 System ist der Erfolg bei den Veilchen zurück. Eine Anleitung, welche die Hütteldorfer dankend aufnehmen sollten. Radikale Änderungen, wie unter Ex-Trainer Canadi führen selten zum Erfolg. Aber ein „gewisses Feintuning“ kann auch aus einem „stotternden Motor“ rasch wieder ein „Raketenaggregat“ machen.

Joelinton und die verzweifelte Suche nach dem „perfekten Angriffs- und Systempartner“
Unter dem Punkt System fällt auch der „systematische Problemfall“ Joelinton. Der junge Brasilianer hat viele wichtige Qualitäten in seinem Spiel. Der 20-Jährige rackert unermüdlich für die Mannschaft. Er sichert auch schwierige Bälle und arbeitet viel mit dem Rücken zum Tor. Für sein Alter ist Joelinton in seiner sportlichen Entwicklung durchaus weit vorangeschritten. Der 20-Jährige ist aufgrund seiner sportlichen Qualitäten aber auch ein Problemfall.

In vielen Situationen würde dem Brasilianer eine zweite Spitze gut tun die auf diese Ideen eingeht. Der Versuch von Ex-Trainer Canadi mit Schaub einen spielstarken Offensivmann an die Seite von Joelinton zu stellen ist im Grunde genommen begrüßenswert. Der Nachteil an dieser Variante ist jedoch, dass man den 22-Jährigen seine sportlichen Stärken nimmt. Alternativen zu Schaub wurden nicht getestet! Warum eigentlich? Gefühlt war diese Entscheidung korrekt und nachvollziehbar. Was also tun mit Joelinton? Das System zu Gunsten des Brasilianers adaptieren oder eher auf Kvilitaia setzen? Der Georgier würde im Grunde genommen zwar besser ins „Stammsystem“ passen, hat aber Defizite in dem Bereich wo Joelinton sehr gut für die Mannschaft arbeitet… Die Katze beißt sich hier in den eigenen Schwanz.

Wer übernimmt die Verantwortung in schwierigen Situationen?
Defensiv wie offensiv benötigt jede Mannschaft Führungsspieler. Akteure die heiklen Situationen die sprichwörtliche „Schlagzahl“ vorgeben. In der aktuellen Situation sind diese nicht in Sicht. Die Spieler haben gefühlt genug mit sich selbst zu tun. Vielen merkt man an, dass sie Verantwortung gerne übernehmen würden, es aber aus unterschiedlichen nicht können. Am Ende ist es aber die eigene Situation und die mentale Situation die dies am Spielfeld verhindert. Die Verunsicherung im mentalen Bereich ist ab dem ersten Negativerlebnis in vielen Spielen spürbar.

Die Torhüterfrage – Strebinger, Knoflach oder doch Novota?
Im Abstiegskampf ist ein Torhüter, der Ruhe und Souveränität ausstrahlt äußerst wichtig. Am Schlussmann richtet sich in der Regel der Rest der (Hinter-)Mannschaft auf. Hier scheint eines der Grundprobleme von Rapid Wien zu legen. Seit dem Frühjahr steht Knoflach zwischen den Pfosten. Der 23-Jährige wurde von Ex-Trainer Canadi zum Stammspieler befördert. Rein sportlich betrachtet verfügt er über starke Reflexe, aber im Punkt „mitspielen“ liegen Defizite die für Unruhe sorgen. Auf der Gegenseite hatte man beim jetzigen Ersatzmann Strebinger nie das Gefühl, dass er auch mal die „unhaltbaren Bälle“ entschärfen würde. In den Vorsaisonen war Novota noch der Stammspieler im Tor bei Rapid. Der Slowake überzeugte dabei mit Ruhe und starken Leistungen. Genau diese Aspekte fehlen den Hütteldorfern gefühlt. An der Personalie Jan Novota lässt sich aber ein Problem ausmachen. Um weiter in den Genuss der Zahlungen aus den Österreicher-Topf zu kommen, verzichtete man auf die Dienste des Slowaken und zog einen heimischen Torhüter dem Legionär vor. War dies wirklich eine korrekte Entscheidung der beiden Ex-Trainer Büskens und Canadi? Die aktuelle sportliche Situation lassen berechtigte Zweifel aufkommen…

Die Spieler laufen – Zum Teil aber falsche, schlechte Wege
Es ist populär in Zeiten des sportlichen Misserfolges Spielern mangelnden Einsatz oder Laufbereitschaft vorzuwerfen. In der aktuellen Phase des SK Rapid Wien wäre eine solche Behauptung schlichtweg unwahr und gelogen. Fakt ist aber, dass Spieler einige Laufwege auf sich nehmen, die weder gut für die Mannschaft noch für die eigene Position „vorteilhaft“ sind.

Die Begründung dafür in wenigen Worten zusammenzufassen ist sehr schwer, da sie vielfältig ist. Von mangelnden Selbstvertrauen, Angst vor einem Fehler, „geistige Überspieltheit“ bis zu körperlichen Defiziten liegt die Bandbreite. Diese könnte eines kompensieren – Erfolgserlebnisse! Diese waren in der jüngeren Vergangenheit allerdings sehr rar!

Zu hohe Fehlerquote
Um es mit den Worten des leider viel zu früh verstorbenen Ski-Legende Rudi Nierlich zu halten: „Wenn es läuft, dann läuft es!“. Ist man oben dann läuft es – Risikopässe kommen an, der Ball läuft wie an der Schnur gezogen. Läuft es aber nicht, gelingen oft einfachste Pässe nicht. Die Fehlerquote wird zu hoch. Defensiv wie offensiv läuft man dann der Normalform hinterher.

Ist Rapid im Frühjahr 2017 zu langsam?
Fußball, in Wahrheit auch der Sport generell, wird immer schneller. Sowohl in der Offensive wie in der Defensive ist ebenso wie die individuelle wie auch die Geschwindigkeit in der Spielanlage als Mannschaft ein wichtiger Aspekt. Viele Mannschaften legen hier einen Mittelweg an den Tag. Neben einer gewissen Grundgeschwindigkeit aller Spieler gilt es auch Akteure unter Vertrag zu nehmen, die in punkto Geschwindigkeit einen Unterschied ausmachen. Rein individuell betrachtet hat Rapid Wien im Frühjahr 2017 diesen „Geschwindigkeitsunterschied“ ausgemacht. Als Mannschaft betrachtet ist die Lauf- wie Passgeschwindigkeit in der Regel „gleich bleibend“. Es gibt keine Geschwindigkeitswechsel, keine Überraschungen in der Spielanlage. Pass- und Flankengeschwindigkeit sind berechenbar. Die Geschwindigkeit und auch die Spielanlage bringen zu wenige Rhythmuswechsel um den Gegner in Verlegenheit zu bringen.

Selbstvertrauen dringend gesucht
Ein Punkt der öffentlich völlig unter geht ist jener Aspekt des Selbstvertrauens oder wie im Fall von Rapid Wien der Mangel davon. Viele der bereits angeführten Aspekte haben auch damit zu tun. Die Mehrzahl der Spieler ist es gewohnt, eine erfolgreiche Saison zu spielen. Individuelle Schwächephasen werden dann in der Regel von der Mannschaft aufgefangen und sorgen für rasche Besserungen der sportlichen Leistung.

So weit, so gut! Papier ist wie wir alle wissen geduldig. Die Wahrheit bei Rapid Wien im Frühjahr 2017 ist aber eine andere. Kein Spieler ist in normaler Verfassung. Niemand kann daher das „mentale Loch“ seines Kollegen auffangen. So reicht in der Regel ein Negativerlebnis, um die Mannschaft außer Tritt zu bekommen.

Viele Schlüsselspieler fehlen verletzungsbedingt
Die Verletztenliste ist für den sportlichen Misserfolgsfall ein gerne herangezogenes Argument. Das sich Rapid Wien im Abstiegskampf befindet einzig an den abwesenden Spielern festzumachen wäre falsch. Fakt ist jedoch, dass wichtige Spieler ausfallen, die in schwierigen Phasen eine sportliche Alternative wären. Zwei Beispiele gefällig? Mocinic im zentralen Mittelfeld zeigte in den ersten Spielen seine sportliche Qualität. Schobesberger ist offensiv am Flügel in Normalform eine Bereichung und stets für gefährliche Aktionen gut. Der Ausfall dieser beiden Spielen ist in dieser Situation besonders schmerzvoll. Das Duo wird zur kommenden Saison wieder im Kader stehen.

Die sportlichen Baustellen im sportlichen Frühjahr 2017 beim SK Rapid Wien sind vielfältig. Die Ursachen dafür liegen auf vielen Schultern. Die Spieler sind in die Verantwortung zu nehmen, aber ihnen alleine die Verursacherposition zuzuschreiben ist zu billig. Auf Interimstrainer, Sportdirektor und natürlich auch die Spieler wartet viel Arbeit. Diese eigentlich schon seit sehr langer Zeit. Es gilt diese nun (endlich) anzugehen.

Fakt ist, dass der SK Rapid Wien im Abstiegskampf steckt. Der Klassenerhalt ist kein Selbstläufer, da die anderen Teams im Tabellenkeller durchaus mit guten Leistungen aufzeigen. Im Normalfall werden die Hütteldorfer die Klasse halten. Es bleibt zu hoffen, dass alle beteiligten Parteien die Lehren aus der völlig verkorksten Saison 2016/17 rasch ziehen und die Problemfelder lösen.

02.05.2017