Das 322. Wiener Derby wird als wenig ruhmreich in die Historie der Duelle zwischen Rapid und Austria Wien in die Geschichtsbücher Einzug finden. Sportlich, sowie abseits des Rasens wird die Schuldfrage nicht in den eigenen Reihen gesucht. Deeskalation in einer sehr emotionalen Situation gibt es keine. Der große Knall scheint vorprogrammiert! Ein Kommentar von Thomas Muck.
Zum Spiel
Die ersten 10 bis 15 Minuten war aus neutraler Sicht sehr interessant. Beide Mannschaften gingen rasant, jedoch mit taktischer Vorsicht zu Werke. Danach übernahmen die Hütteldorfer das Kommando. Mit Herz, Leidenschaft und auch dank einer schwachen Austria-Verteidigung führten die Hausherren verdient mit 2:0. Die vergebenen Chancen auf das Tor #3 sollten sich am Ende rächen.
Nach rund 65 Minuten übernahm die Austria das Kommando. Der eingewechselte Prokop sorgte für die Wende im Spiel, die sich eigentlich davor nicht abzeichnete.
War die Austria aber plötzlich so stark oder fiel Rapid zurück?
Der Wahrheit sehr nahe kam der Kurier-Journalist Alexander Huber, der bei der Pressekonferenz fragte, warum die Hütteldorfer konditionell abbauten. Aus neutraler Sicht war das wohl der Knackpunkt des 322. Wiener Derby. Rapid hatte nicht die Luft das hohe Tempo, die hohe Intensität über 90 Minuten zu gehen. Die Mannschaft wirkte in der Schlussphase körperlich und geistig platt. Die Gegentore waren nur eine Folge der Zeit. In der Nachspielzeit hätte es sogar den „Super-Gau“ für die Grünen geben können, hätte Friesenbichler den Ball zum 2:3 eingenetzt – es wäre definitiv kein verdienter Sieg für die Austria gewesen.
Kommen wir zum Spiel aus Sicht der Veilchen
Stark gestartet – stark zurückgefallen – stark zurückgekommen! Trainer Fink hofft, durch die Comeback-Qualitäten seiner Mannschaft den sportlichen Fehlstart zu den Akten legen zu können. Ob dem wirklich so sein wird? Die Antwort darauf werden die nächsten Spiele zeigen.
Fakt ist, dass es im Wiener Derby weiter erschreckende Schwächen gab. Serbest ist von seiner Normalform weit entfernt. Bei Neuzugang Westermann und Filipovic ist Harmonie im Abwehrzentrum oft nicht zu sehen und in der Offensive hängt der Solostürmer weiter in der Luft. Egal ob Monschein oder Friesenbichler – Stürmer bei der Austria möchte man aktuell nicht sein.
Das Spiel selbst daher keinesfalls hochklassig. Es war sehr intensiv, kampfbetont, phasenweise grenzwertig und aufgrund vermeidbarer Fehler auf beiden Seiten sicher kein fußballerischer Leckerbissen. Aus vielerlei Hinsicht muss daher von einem durchschnittlichen Spiel gesprochen werden. Kampfgeist und Leidenschaft haben einiges kompensiert, aber nicht alles!
Rein sportlich und nüchtern betrachtet ist bei beiden Wiener Vereinen eines abzusehen: Schuld für eigene Fehler haben andere! Zum Beispiel muss sichSCR-Coach Djuricin die unbequeme Frage stellen lassen, warum einige Spieler seine Mannschaft nicht über die konditionellen Möglichkeiten über 90 Minuten verfügen. Warum legt man dann keine Tempowechsel ein, wie andere Mannschaften – in der Leistungsklasse – auch?
Von Seiten der Austria war nach den Duellen gegen SCR Altach und Sturm Graz zu hören, dass der Gegner besser im Spielrhythmus wäre. Ein Ablenkungsmanöver für suboptimale Leistungen. Gegner mit dieser individuellen Qualität der Spieler und des Betreuerstabes sind nicht als übermächtig einzuschätzen. Sie zeigen beinhart und schonungslos die sportlichen Defizite auf. Ein Umstand der nachdenklich stimmt, da der Mannschaftskern im Grunde gehalten werden konnte. Am Spielfeld war nicht alles Gold was glänzte.
Im Stadion
Abseits des Feldes war das 322. Wiener Derby keinesfalls Werbung für den österreichischen Fußball. Mit Unterstützung der eigenen Mannschaft haben Gesänge die dem „Ableben des einen Vereins“ und ein „Bombenangriff auf das Gebiet des anderen Vereins“ nichts mehr zu tun.
Mein Vater sagte mir einst in meiner Jugend: „Das Fußballstadion ist kein Kirchenchor“. Stimmt definitiv! Eines ist aber auffällig, die Grenzen in der Fankultur werden mehr und mehr überschritten.
Unflätige Beleidigungen über Spielermütter sind schlicht und ergreifend niveaulos. Gesänge, die Gewalt verherrlichen oder fordern, sind für den Verein kein Ruhmesblatt und in Wahrheit imageschädigend. Welches Unternehmen möchte sich im TV-Bild wiederfinden, wenn aus der Fankurve derartige Meldungen anstimmt werden?
Mir ist kein Unternehmen bekannt, das das „Ableben“ und „sehr starke Ablehnung“ für das Gegenüber offen auslebt oder ein solches Verhalten „seiner Repräsentanten“ akzeptiert. Wohl auch ein Grund, warum international bekannte, finanzstarke Unternehmen gar nicht oder nur zu einem geringen Teil in den österreichischen Fußball investieren. Selbst der traditionsbewusste Fan wird aktuell eines feststellen: Ohne Geld gibt es keinen Sport – egal ob in der Fußball-Bundesliga, Regionalliga, im Eishockey oder in welcher anderer Sportart auch immer.
Ja, sprechen wir es offen aus: Bestimmte Fankreise schädigen ihren Verein. Manchmal zum Trotz, manchmal auch vorsätzlich (Stichwort: bengalische Fackeln)!
Die Atmosphäre auf den Rängen darf getrost als gehässig bezeichnet werden. Ein Umstand, der sich auch auf dem Spielfeld und knapp daneben wiederspiegelte. Hier müssen sich einige Rapid-Spieler an die eigene Nase fassen und sich selbst hinterfragen. Ersatztorhüter Knoflach wirkte nicht nur beim 2:2-Ausgleichstor als hätte man ihm rohes Fleisch ins Müsli gemischt. Das Verhalten von Ehrenkapitän und Vereinslegende Steffen Hofmann in der „Causa Holzhauser“ ist ebenfalls eines Idols unwürdig.
Hier sei aber eines erwähnt – Menschen machen Fehler! Niemand ist perfekt! Größe zeigt man aber wenn man Dinge eingesteht, die unter die Kategorie „suboptimale Entscheidung“ fallen. Rund 7.200 und 65.500 Personen erreichen die beiden Spieler über ihre Facebook-Seiten. Kein Wort der Erklärung, keine Entschuldigung oder einen Schritt der Deeskalation wurde gesetzt.
Spieler sind Vorbilder und Idole. Viele tausende Menschen blicken zu Ihnen auf – darunter vor allem Kinder und Jugendliche!
Provokatives, unsportliches Verhalten damit zu entschuldigen, dass der „Gegner böse und schlecht ist“ und eigene Fehler zu verschweigen ist schlicht und ergreifend falsch und schlecht für den Sport. Fairplay, Respekt und Anerkennung gelten scheinbar nur dann, wenn es einen selbst betrifft oder die „Höhe der Gürtellinie“ selbst bestimmt wird.
Im Lager von Rapid wurde Raphael Holzhauser als „großer Provokateur“ auserkoren. In zwei Punkten mag diese Argumentation nachvollziehbar sein. In so mancher Situation (zB im Streitgespräch mit dem Schiedsrichter) mag die Gestik als unangebracht erscheinen. Seine Spielweise mag ebenso als provokativ aufgefasst werden können. Aber was konnte er für den Abbruch bzw. die Emotionen rund um den Eckball? Nichts!
Hätte er warten sollen bis Wurfgeschosse wie „Zippo“-Feuerzeuge (waren im Wurfgeschosshagel dabei) ihn am Kopf treffen? Der gastgebende Verein ist für die Sicherheit rund um das Spielfeld verantwortlich. Übrigens: Was, wenn ein solches Ding einen Fotografen am Spielfeldrand trifft? Wird der Verletzte dann genauso bespuckt wie seinerzeit der ehemalige Rapidler Andreas Weimann, als er verletzt im Trikot von Aston Villa abtransportiert wurde? Rein analytisch betrachtet hat die „Causa Hofmann vs Holzhauser“ eines gezeigt, es gibt Sicherheitslücken, die es zu schließen gilt. Oder wird erst dann gehandelt, wenn es Verletzte durch einen solchen Vorfall gibt bzw ein Spiel komplett abgebrochen wird?
Rapid bewerte den Torjubel von Holzhauser nach dem 2:2 als „provokativ“. Nach dem verwandelten Elfmeter lief der Schütze über das halbe Feld – vorbei an der Rapid Bank – zur eigenen Betreuerbank. Darf sich im Allianz-Stadion in Zukunft nur mehr in eigenen „Jubelzonen“ über eigene Treffer gefreut werden? Was wäre bei einem wirklich „grenzwertigen Jubel“, wie jener von Austria-Kultstürmer Tibor Nylasi vor vielen, vielen Jahren im ehemaligen Hanappi-Stadion los gewesen?
In der Causa Holzhauser wurde auch die Personalie des „Wutordners“ ein Thema. Er ist wohl eines der Gesichter des 322. Wiener Derby. Ehrlich gesagt ist mir der junge Mann unbekannt. Er soll sich beim Platzsturm 2011 auf dem Feld befunden haben und hat dafür ein Stadionverbot vor einem Jahr erhalten.
Er hat seine Strafe abgesessen und ist jetzt als „Fanordner“ bei Rapid beschäftigt. So weit zu den Fakten. Zugegeben, jeder Mensch macht Fehler! Egal ob Sportler oder Normalsterblicher. Ist der Ordner auf Lebenszeit zu verdammen? Meiner Meinung nach nicht! Jeder hat eine zweite Chance verdient. Den Dienstgeber kann man aber an dieser Stelle von einigen Vorwürfen nicht freisprechen. Ein paar interessante Fragen, die im Statement von Rapid unbeantwortet blieben. Zum Beispiel: „Was war und ist sein Einsatzgebiet? Was macht ein Mann mit einer solchen Historie im Innenraum des Stadions? Wieso lässt man eine Person in die Nähe von Spieler des Lokalrivalen, wenn diese Person auf seinem Facebook-Account mit Fanartikeln posiert, die sich das „baldige Ableben des Vereins wünscht“?“
Über die Auswahl der Arbeitskräfte kann man hier ausführlich diskutieren. In puncto Einsatzgebiet solcher „ehemaligen Problemfans“ hat Grün-Weiss schlicht und ergreifend versagt! Zweite Chance für eine Person hin oder her.
Die „violette Seite Wiens“ hat jetzt einen Sündenbock und den Beweis, dass bei Rapid „alles Böse wäre“. Verspätet und mit der falschen Wortwahl wurde hier mit einer Stellungnahme reagiert. Die dringend benötige Deeskalation sieht anders aus.
Aber auch die Austria hat sich hier nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die Verteidigung des Schlüsselspielers Holzhauser war eine Selbstverständlichkeit, kam aber in Wahrheit zu spät. Ich durfte Kommentare löschen, die tiefst ehrenbeleidigend waren und rein gar nichts mehr mit Sport zu tun hatten. Selbst die Andeutung solcher Worte wären journalistisch falsch.
Auf der Gegenseite wurde aber weiter Öl ins Feuer gegossen. Strafen fordern ist wie die Forderung von gelben Karten auf dem Spielfeld. Ein Unding! Es gibt den Strafsenat und dieser wird ein Urteil fällen. Dieses wird wohl gegen Rapid heftiger ausfallen, da die Hütteldorfer eine längere Historie von Fanverfehlungen haben. Der Strafsenat benötigt hier keine „Empfehlungen“. In Deutschland wurde nach ähnlichen Vorfällen Teilsperren des Stadions und hohe Geldstrafen verhängt. Das Urteil im 322. Wiener Derby wird wohl in eine ähnliche Richtung ausfallen.
Ein weiterer Trend in Gästefanblocks scheint es zu sein, Sachbeschädigungen zu begehen. Wie Rapid mitteilte, war der Sachschaden nach dem Spiel – mal wieder – enorm. Fairerweise muss erwähnt sein, dass dieser Umstand mit dem Heimrecht zu wechseln scheint. „Zerstören, weil es Spaß macht dem Lokalrivalen zu schädigen“ dieses Motto ist schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar! Keines der beide Teams versteht es diesen Trend zu stoppen. Sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen macht sich öffentlich gut, dass dabei Emotionen hochschaukelt werden wird scheinbar indirekt zur Kenntnis genommen.
Das 322. Wiener Derby endete am Spielfeld 2:2-Unentschieden. Abseits des Spielfelds gab es genug Vorfälle, um dieses Spiel als „Eigentor“ und „Schande“ in die Geschichtsbücher einziehen zu lassen. Es wäre dringend nötig deeskalierend einzugreifen. Es wäre dringend nötig Schritte zu setzen damit man in Zukunft wieder über sportliche Rivalität auf dem Spielfeld berichtet. Rapid und Austria sind längst nicht mehr „reine Fußballvereine“. Es sind Konzerne mit einer jährlichen Bilanzsumme von rund 25 bzw. 35 Millionen Euro. Unternehmen, denen ihr öffentlicher Ruf wichtig sein sollte. Gefühlt ist der Scherbenhaufen vor „der Türe von Rapid“ um einiges größer, als jener der Austria. Eines der beiden Teams von den Vorfällen gänzlich freizusprechen wäre genauso falsch, wie Gründe für die aktuelle Situation beim Gegner zu suchen.
Übrigens, und das sei an dieser Stelle erwähnt, in karitativen Dingen gibt es sehr wohl eine Ebene, wo man zusammenhält und Gutes tut. Hier sei die Aktion für die Gruft in Wien erwähnt. Mehr davon einzufordern ist falsch, da sich in irgendwann der Effekt abnützt. Fakt ist aber, dass beide Teams zu bestimmten Situationen durchaus „miteinander können“.
Nur wann sind diese? Wenn die jeweilige „Ultra“-Gruppe grünes Licht dafür erteilt? Befindet sich ein Wiener Großklub – wie von einem ehemaligen Angestellten behauptet – tatsächlich in der Geiselhaft dieser Fangruppe? Warum schafft es Rapid nicht, ein klares Signal zu setzen und sich von bestimmten Kreisen zu trennen, wie es einst die Austria mit dem „Fanklub Unsterblich“ tat? Warum schaffen es beide Vereine nicht deeskalierend aufzutreten, sodass man in Zukunft über eine rein sportliche Derbyrivalität berichten kann??
Antworten auf diese und weitere Fragen würden den Rahmen des Kommentares sprengen.
Fakt ist, früher war nicht alles besser! Doch in einem Punkt schon, es gab eine legendäre Derbyrivalität Dietmar Kühbauer gegen Andreas Ogris. Das Bild, bei dem beide Hitzköpfe Nase an Nase stehen, schrieb Geschichte. Am Spielfeld haben sich beide aber sowas von überhaupt nichts geschenkt. Nicht jedes Spiel war hochklassig, aber es war diese sportliche Intensität von der jeder Fan träumt. Egal ob man 5 oder 85 Jahre alt ist! Solche Derbys machten Spaß und sorgten auch Tage später für sportliche Schlagzeilen.
Zugegeben, die Zeiten haben sich geändert. Soziale Netzwerke, Fake-News und Co sorgen für (positive und negative) Stimmung. Fakten scheinen unerwünscht, Emotionen zählen in unserer Gesellschaft aktuell! Das sind die Rahmenbedingungen, die man akzeptieren muss! Als Sportverein und Wirtschaftskonzern sollten sowohl Rapid, wie auch die Austria alles unternehmen, um eine Rückbesinnung einzuleiten. Auf Zeiten, in denen sich die Legenden Nase an Nase standen und nur der Rasen und nicht im Umfeld des Spielfeldes brannte.
Das 322. Wiener Derby wird wohl nach dem Urteil des Strafsenats aus der Öffentlichkeit verschwinden. Die sportliche Karawane wird weiterziehen und in absehbarer Zukunft steht das 323. Duell der beiden sportlichen Lokalrivalen auf dem Programm. Konsequenzen aus den Ereignissen der letzten Tage wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine geben. Das Prozedere in Kurzform: Rapid wird sich gegen das Urteil des Strafsenats wehren. Die Austria Anhänger haben ihre berechtigten Kritikpunkte und werden diese noch etwas „nachbearbeiten“. Schritte zur Deeskalation? Wenn Sie einen finden, schreiben Sie der Redaktion doch eine Mail. Wir werden ihn gerne positiv erwähnen!
Der Sport lebt von Emotionen und Rivalität. Das Wiener Derby hat jedoch ein Niveau erreicht, dass mit diesen Grundsätzen des Sports nichts mehr zu tun hat. Darüber sollten alle gründlichst nachdenken.
09.08.2017