Ralf Muhr, Austria Wien, #faklive

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Im zweiten Teil des ausführlichen Sportreport-Interviews spricht Austria-Sportdirektor Ralf Muhr über die sportliche Philosophie der Veilchen, Einbindung der Nachwuchsspieler in die Profi-Abtteilung und seine Wünsche für die nähere Zukunft.

Sportreport: Zur aktuellen sportlichen Lage: Mein Vater ist sehr Jahrzehnten glühender Austria-Anhänger. Er hat mich, wohl auch stellvertretend für viele Fans, darum ersucht dem Sportdirektor der Austria eine Frage zu stellen. Sein Gefühl ist, dass der Verein seine sportliche DNA verloren hat. Daher die Frage: Wofür steht jetzt der Verein Austria Wien sportlich und warum sieht man dies derart selten und inkonstant auf dem Spielfeld?
Ralf Muhr: Finde ich persönlich eine sehr gute Frage! Unsere Philosophie ist – auch traditionell bedingt – das Spiel mit dem Ball. Das finde ich persönlich auch gut so denn es ist ein Alleinstellungsmerkmal. Es ist gut, wenn man dabei etwas erkennt. Wir stehen, wenn man es überspitzt formuliert, für den gepflegten Fußball. Wir wollen Fußball spielen! Das sagt sehr viel aus! Ich mag es nicht – das sage ich auch immer wieder – wie die taktischen Diktionen wie das Spiel gegen den Ball zu sein ist. Gegen den Ball spiele ich nicht Fußball, dass sage ich salopp! Ich habe dazu in den letzten Wochen oft Diskussionen geführt. Es ist natürlich klar, dass es wichtig ist wie ich mich verhalte, wenn ich nicht im Ballbesitz bin. Ich denke da sind wir uns einig. Aber die DNA der Austria ist das Spiel mit dem Ball! Ganz klar! Das ist uns im letzten Jahr nicht gut gelungen. Das muss man ganz klar sagen. Es waren immer wieder Ansätze da aber es ist uns nicht gut gelungen. Das war auch der Grund warum Trainer Letsch am Ende auch gescheitert ist. Gescheitert ist da vielleicht ein zu hartes Wort. Aber das Fußballspiel bei dem man eine Entwicklung gesehen hat. Das attraktive Fußballspiel war da nicht mehr erkennbar! In der Folge sind auch die Ziele in weite Ferne gerückt. Vorher wenn man es so analysiert hat war unsere Spielweise nicht zielgerichtet genug mit dem Ball. Wir kennen die Phase unter Thorsten Fink. Er war sehr auf Ballbesitz, Positionsspiel bedacht. Aber ich denke das war nicht das was wir als Austrianer sehen wollen. Das wird auch nicht in der Ausbildung gemacht. Wir stehen für das Spiel mit dem Ball mit dem Ziel einen Torerfolg zu haben.

Das klingt vielleicht relativ simpel. Es ist aber viel mehr dahinter. Es gibt hier viele Details. Man kann es aber grob so sagen. Wir werden uns nie über die zweiten Bälle definieren oder der Fehlpass des Gegners ist sozusagen mein bester Freund. Da gibt es auch Zugänge. Oder Chaos zu kreieren beim Gegner. Diese „Hauruck“-Dinge! Aber das wollen wir überhaupt nicht. Wir definieren uns wie gesagt über das Spiel mit dem Ball.

Ich bin bei Ihnen, wenn Ihr Vater Austria-Anhänger ist. Mein Schwiegervater übrigens auch. Er sagt „Ich kann mir die Austria nicht mehr anschauen“. Genau dort wollen wir aber wieder hin. Aber das ist dem modernen Fußball geschuldet. Die Zeit des „Scheiberl-Spiel“ ist vorbei. Allerdings soll und muss immer wieder Teil des Austria-Spiels sein. Es soll Kreativität zu sehen sein. Es soll eine Schlitzohrigkeit zu sehen sein. Das haben die Spieler in sich drinnen! Gerade auch die welche über die Ausbildung nach oben durchkommen. Ein Prokop, Grünwald oder aktuell auch ein Borkovic mit seiner Spielanlage oder ein Fitz Dominik. Das sind kreative Spieler die wir sehen wollen.

Sportreport: Zusammengefasst: Lieber Tiki-Taka im Pep Guardiola-Stil als den Mannschaftsbus vor dem Strafraum parken wie unter Jose Mourinho?
Ralf Muhr: Hundertprozentig! Der Auftrag, die Herangehensweise, die Erwartungshaltung! Das ist schon ganz klar so. Dieses Versprechen will ich schon abgeben, an dem arbeiten wir auch. An dem lassen wir uns auch messen, dass wir ein besseres Fußballspiel allen Austrianern präsentieren!

Sportreport: Der aktuelle Sportdirektor muss auch Fragen zur Vergangenheit beantworten. In den letzten zehn Jahren, die Meistersaison ist hier eingerechnet, war der Endplatz in der Tabelle im Durchschnitt knapp unter vier. Sechs Mal war man im Europacup, vier Mal Zuschauer. Das sind Werte die für die hohen Anforderungen der Austria einfach zu wenig sind. Gefühlt war die einzige Konstante die Inkonstante. Waran liegt das aus Ihrer Sicht?
Ralf Muhr: Da gibt es mit Sicherheit nicht den einen Grund. Aber es ist schon so, dass man dann diese langfristige Herangehensweise und Strategie wie wir sie im Sommer eingeleitet haben auch nicht gewählt hat. Es ist schon ganz klar, dass man Seitens unseres Vereins bereits jetzt viele Dinge jetzt langfristig plant. Wir säen jetzt Dinge wo die Saat noch nicht aufgegangen ist. Das Spannende wird sein wie lange es dauert und wie hält man mit Rückschlägen umzugehen hat. Rückschläge gehören zu jeder Entwicklung. Aber man darf nicht als negativen Aktionismus die Rückschläge so miteinbeziehen, dass man am Ende dasteht und sagt „Ja, es ist halt so“. „Wir können es eh nicht ändern“. Wir haben es immer gewusst, dass es ein Wellental sein wird. Man muss aus den Rückschlägen die richtigen Rückschlüsse ziehen. Ist das gefährlich für die langfristige Entwicklung wo wir uns hinbewegen? Diese Stellschrauben musst du behutsam drehen ohne auf das große Ganze zu vergessen. Das ist nicht leicht! Den ständigen Druck hast du natürlich im Profigeschäft! Du bewegst dich hier in einem Konkurrenzfeld, wo es darum geht auch die wirtschaftliche Basis zu legen. Für die Austria ist das in der Dimension ein Europacupstartplatz! Diesen Balanceakt muss man immer wieder schaffen! Eine kurzfristige Zielsetzung ja, aber dahinter muss es diesen langfristigen Plan geben! Das ist nicht einfach.

Sportreport: Was man seit dem Finale, in der Zeit von Thorsten Fink, offen ansprechen muss ist, dass es bei der Austria sehr viele Verletzungen gab. Man war es einfach Pech manchmal waren sie einfach Teil des Sports. Es ist aber auffällig. Viele Spieler bekamen in dieser Phase Einsatzzeit. Nachhaltig nutzen konnten sie allerdings nur ganz, ganz wenige und sich festspielen! Woran hat es gelegen? War es die individuelle Qualität der Spieler, war es der mentale Bereich oder war es einfach auch die „allgemein negative Stimmung“? Gemeint ist damit, dass „der Junge jetzt da rein muss? Für das Talent ist das auf mentaler Ebene gefühlt auch keine einfache Startsituation.
Ralf Muhr: Ich glaube, dass es wieder mehrere dafür Gründe gibt! Fest steht, dass es uns gezielter gelingen muss unsere Topspieler im Profibetrieb besser einzubauen. Es muss gezielter gelingen die Wettspielpraxis im Profibereich besser zu steuern. Es ist immer die Gefahr bei unseren Toptalenten, dass Sie in ein Fahrwasser kommen. Sie sind im Kader, haben Kurzeinsätze, dann wieder zwei, drei Wochen gar nichts. Dann werden sie hineingeschmissen gleich wieder in der Erwartungshaltung eine Topleistung abzuliefern! Das gehört gezielter getan, und das ist eine Hauptaufgabe in meiner Person, darauf vorzubereiten. Hier spielen auch die Young Violets eine wesentliche Rolle, dass wir sie in der 2. Liga haben und auch dort halten. Dass wir über diese Schiene unsere Topspieler, unsere Perspektivspieler besser einbauen können.

Die Talentlage, weil Sie das angesprochen haben, ist zu 100 Prozent da. Das ist so! Wenn man unsere Eigenspieler hernimmt und sie anschaut und sie vergleicht waren die Nachwuchsnationalspieler und da zum Teil überragend. Überhaupt, wenn ich mir die aktuellen hernehme. Ein Demaku, ein Fitz, ein Borkovic sind im 20er Team. Ein Gluhakovic der im 21er-Team ist. Ein Prokop der auch im 21er Team ist. Hintennach haben wir 15 Nachwuchsteamspieler die wir haben. Was uns gelingen muss, dass wir sie besser in den Erwachsenenbereich bringen. Was die Gesamtsteuerung betrifft. Es muss die Klarheit für die Burschen da sein: Jetzt fängt es so richtig an und ich bin selbst am meisten gefordert den nächsten Schritt zu machen.

Es gilt für uns ein Umfeld so zu schaffen, das keine Wohlfühloase ist oder vorgaukelt „so jetzt ich es schon geschafft“. Das darf es auf keinen Fall sein. Da sind wir als Verein gefordert! Der Spieler selbst muss diese mentale Bereitschaft mitbringen! Das musst du natürlich in der Akademie und im Umfeld anbahnen. Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig in der Trainingssteuerung, auch im sportwissenschaftlichen Bereich, dass man mit ihnen noch mehr macht wie mit den die man schon „oben hat“. Sprich den gestandenen Kampfmannschaftsspielern. In diesem Feld bewegen wir uns da!

Sportreport: Verstehe ich es an der Stelle richtig? Eine Schutzhülle vor zu hohen und „falschen hohen Erwartungen von außerhalb“? Aber intern Feuer machen, Konkurrenzkampf schüren und, dass diese Perspektivspieler mehr machen sollen oder vielleicht sogar machen müssen. Weil im Endeffekt sollen die Spieler nicht nur den Schritt in die Kampfmannschaft, sondern im Idealfall auch zukünftig ins Ausland wechseln.
Ralf Muhr: Genau! Das stimmt! Wieder gut zusammengefasst! Stimmt so zu 100 Prozent! Wir müssen es aber auch glaubwürdig schaffen, den Burschen hier die Perspektive zu geben, dass er das auch so sieht! Dass er diese Karotte auch riecht und sagt: „Okay, wenn ich alles das was wir sagen erfülle dann habe ich die Chancen und kann auch spielen“. Das bedeutet ich, dass ich die Kaderplanung auch so gestalten muss. Das heißt, dass es für diese Spieler auch am Ende eine echte Chance gibt. Das ist für mich auch in der nächsten Phase sehr, sehr wichtig!

Sportreport: In dem Bereich ist auch eines auffällig, Kampfmannschaft, Young Violets und auch die U18 spielen ein unterschiedliches taktisches System. Wenn man sich die großen internationalen Ausbildungsvereine ansieht, Stichwort Ajax Amsterdam, so spielen diese Mannschaften kontinuierlich ein System. Jeder Nachwuchsspieler weiß welche Anforderungen ihn in der Kampfmannschaft an Anforderungen erwartet. Da werden die Trainer der Kampfmannschaft immer mit einem Feinmechaniker eines Rennboliden verglichen der dann die Feinabstimmung macht. Warum gibt es bei der Austria dann diese unterschiedlichen Herangehensweisen?
Ralf Muhr: Das muss ich insoferne korrigieren, dass es sich sehr geändert hat. Auch da ist es so, dass es nicht mehr rigoros durchgezogen wird. Auch wir haben schon alle Modelle irgendwann mal durchgespielt. Fakt ist, dass der moderne Fußball so ist, dass er nämlich extrem viel auf Flexibilität und Anpassung hinzielt. Gute Mannschaften ändern ihr System im Spiel! Mehrere Male, dass wissen wir auch! Das Wesentliche für mich ist nicht die Spielanlage, sondern, dass man erkennt das unsere Mannschaft ‚kicken‘ will. Egal ob sie mit einer 3er, 4er Kette oder ganz übertrieben gesagt mit einem Libero spielt! Ob man mit zwei Sechsern, einer Raute, Außenspielern, zwei oder drei Stürmern spielt! Erkennbar muss sein, dass eine Spielidee da ist! Da ist ein geordneter Spielaufbau vorhanden. Das heißt für mich, dass es über den Tormann, Innen- oder Außenverteidiger oder einer abkippenden Sechs geschieht. Aber es kein Wegbolzen von Bällen gibt. Das wird man dann hoffentlich immer erkennen! Dazu kommt eine hohe individuelle technische Fähigkeit. Die sieht man dann in einer eins-gegen-eins Situationen, in der Zuspielqualität, in der Ballbehauptung unter Druck des Gegners. Mir geht es vielmehr darum um Spielprinzipien zu erkennen. Das ist für uns so wichtig! Wir gehen diesen Weg ganz bewusst in der Ausbildung, dass wir das sehr flexibel gestalten wollen. Es gilt auch dem Trainer die Freiheit lassen zu wollen, dass er auch etwas entwickelt.

Sportreport: Wenn wir uns in spätestens 300 Tage wieder zusammensetzen und dann über rund 500 Tage Sportdirektor und 600 Tage technischer Direktor Ralf Muhr unterhalten werden, gibt es Dinge die Sie unbedingt erreichen wollen, vielleicht erreichen können? Oder steht die strukturelle Arbeit weiter im Vordergrund um den Grundstein für mögliche sportliche Erfolge in allen Bereichen in der Zukunft weiter zu verbessern? Die Youth League wäre (Anm.: Muhr unterbricht kurz mit einem beherzten „absolut“) ja auch mal wieder ein erreichbares Ziel.
Ralf Muhr: Ich will sehen, dass man die Dinge die wir ausführlich angesprochen haben auch nach außen hin sieht. Es bringt weder mir persönlich aber auch dem Verein nichts, wenn wir sagen „wie super wir nicht sind“. Was man nicht gestaltet hat und wie super nicht die Kommunikationswege sind. Das muss am Ende schon auch tabellarisch und in Resultaten messbar sein! Bei der Kampfmannschaft geht es ganz klar um Ergebnissport! Ich bin aber überzeugt, dass wenn wird das Richtige machen unser Spiel auch am Platz umsetzen können. Wenn wir jetzt aktuell über die erste Halbzeit in Salzburg sprechen. Da hat jeder Austrianer gemeint: „Das war in Ordnung“. Die wollen Fußballspielen, das ist mutig da ist eine Idee dahinter, sie haben Torchancen! Sie lassen viel zu! Nur das musst du über das ganze Spiel zeigen! Je weiter es runter geht umso mehr individuelle Qualität will ich dann sehen. Das ist für mich wichtig. Das ist ganz entscheidend! Das Ziel ist auch mehr Auswahlspieler! Nicht nur im unteren Bereich, sondern das wir auch im A-Team den einen oder anderen stellen! Auch das ist ein gutes Merkmal einer Arbeit. Das ist für mich ganz, ganz wichtig! Auch dort müssen wir wieder hin!

Es soll auch Ihr Vater wieder mit viel mehr Freude ins Stadion gehen! Er soll unsere sportliche DNA viel mehr vermittelt bekommen als es in den letzten Jahren und Monaten. Das wäre mein Ziel! Dann hätten wir sehr viel erreicht!

Sportreport: Letzte Frage: Ist es ein Ziel oder ist es für einen Sportdirektor wünschenswert, eine positive Begleiterscheinung, einen 10, 15 oder gar 20 Millionen Euro Transfer auf der Einnahmenseite zu haben?
Ralf Muhr: (überlegt kurz) Das ist wünschenswert allemal! Vielleicht ist es besser diese Summe nicht auf einen Spieler zu projizieren, sondern sich damit wieder etwas breiter aufzustellen. Damit meine ich nicht nur personelle, sondern auch sportwissenschaftliche oder videoanalytische Thematiken oder Scouting. Da gibt es immer wieder Sachen die uns als Verein dann weiterhelfen. Sonst muss man dann einfach etwas innovativer sein. Etwas mehr Querdenken wäre sinnvoll! Man muss nicht immer übermäßig viel Geld in der Hand haben, wenn man Spieler wie zum Bsp. Yateke findet. Ich weiß, dass Sie dem sehr genau auf Ihrem Spickzettel hatten. Wir hatten ihn schon kurz davor bei uns auf dem Radar als ich die Information bekam, dass er auch von Ihnen beobachtet wird. Respekt dafür und es zeigt mir, dass wir beide über inhaltliche Qualität verfügen! Aber das ist in Wahrheit viel, viel spannender, solche Spieler, zu finden und zu verpflichten!

Sportreport: Besten Dank für das ausführliche Gespräch!
Ralf Muhr: Gerne!

Das Gespräch führte Thomas Muck

09.04.2019