Österreichs Frauen-Nationalteam wird am 6. Juli im Old Trafford in Manchester gegen Gastgeber England die Europameisterschaft vor einer prächtigen Zuschauerkulisse eröffnen.
Teamchefin Irene Fuhrmann, die als erste Trainerin die Ausbildung der Bundessportakademie und des ÖFB mit der UEFA Pro-Lizenz abschloss, im Interview über die bevorstehende Europameisterschaft, das historische Ziel WM-Qualifikation und was es heißt, ein Role-Model zu sein.
Wie groß ist die Vorfreude auf die EM?
Sehr groß, da das Eröffnungsspiel für jede Einzelne von uns ein absolutes Highlight darstellt. Ganz Frauenfußball-Europa wird auf dieses Spiel schauen. Wir sind zwar krasser Außenseiter gegen Titelkandidaten England, aber wir wollen die einzigartige Kulisse aufsaugen und genießen.
Welche Chancen rechnet sich die Teamchefin bei der Europameisterschaft aus?
Ich spüre, dass die Erwartungshaltung von außen eine komplett andere ist als noch 2017, als wir es bis ins Halbfinale geschafft und eine große Euphorie entfacht haben. Die Kräfteverhältnisse zu damals haben sich aber nicht verändert, wir sind in eine äußerst starke Gruppe gelost worden. Für mich ist wichtig, dass wir als Betreuerteam die Rahmenbedingungen schaffen, dass jede Spielerin ihr volles Potenzial ausschöpfen kann, dann können wir auch wieder überraschen. Ich würde mir wünschen, dass wir am letzten Gruppenspieltag ein Entscheidungsspiel gegen Norwegen haben.
Wie sind Norwegen und Nordirland, die weiteren Gegner, einzuschätzen?
Norwegen ist ein sehr erfahrenes Team, das mit individuellen Klassespielerinnen von Barcelona, Lyon, Arsenal und Chelsea bestückt ist. Wir konnten mit dem Frauen-Nationalteam noch nie gegen sie gewinnen. Nordirland liegt hinter uns in der FIFA-Weltrangliste, zeichnet sich durch ein starkes Kollektiv aus, das vor allem im Umschaltspiel seine Stärken hat. Wir wissen, dass wir das bessere Team sind, müssen das aber auch am Platz bestätigen. Dass das nicht so einfach ist, haben wir in der laufenden WM-Qualifikation gesehen (2:2 a und 3:1 h, Anm.).
Ein großer Teil deiner Spielerinnen steht im Ausland unter Vertrag – u.a. in Deutschland, England, Frankreich. Wie stark sind diese Ligen im Vergleich zur österreichischen Frauen Bundesliga einzuschätzen?
Unsere Legionärinnen sind sicher eine wichtige Säule unseres Erfolges, da sie in den stärksten Ligen Europas unter Vertrag stehen und im Spiel-, aber auch Trainingsbetrieb voll gefordert sind. Die Planet Pure Frauen Bundesliga in Österreich hat sich speziell in den vergangenen Jahren gut entwickelt. Vor allem für unsere jungen Talente stellt sie eine Plattform dar, um wichtige Entwicklungsschritte für ihre weitere Karriere machen zu können. Langfristiges Ziel muss es sein, unsere Liga stetig weiter zu professionalisieren, um noch attraktiver zu werden und vor allem das Leistungsniveau weiter anzuheben.
Im September geht die Qualifikation zur WM 2023 in Australien und Neuseeland weiter. Wie stehen da unsere Chancen, wer sind die Gegnerinnen?
Es sind noch zwei Heimspiele ausständig, wir treffen auf England und Nordmazedonien. Unabhängig von den Ergebnissen haben wir unser Play-Off-Ticket schon fix in der Tasche. Das alleine ist schon historisch, aber wir haben einen großen Traum, wollen Österreich erstmals überhaupt bei einer Weltmeisterschaft vertreten. Der Weg dorthin ist allerdings noch sehr weit, denn das Play Off wird in mehreren K.o.-Duellen ausgespielt. Hinzu kommt, dass sich nur elf – oder maximal zwölf – europäische Teams für die WM qualifizieren können.
Du hast im Sommer 2020 den Posten der Teamchefin von Dominik Thalhammer übernommen und bist damit die erste Frau im heimischen Fußball, die eine Spitzenposition einnimmt. Welche Herausforderungen galt es zu überwinden, um als Trainerin ganz nach oben zu kommen?
Die größte Herausforderung war es, mich selbst davon zu überzeugen, bereit zu sein, diesen Job anzunehmen. Am Weg dorthin habe ich alle Ausbildungen wie meine männlichen Kollegen durchlaufen. Teilweise waren Anforderungen bei Aufnahmeprüfungen an mich als Frau angepasst, wie die Distanz, die beim Cooper-Test zu absolvieren war, oder die geforderte Länge bei Zuspielen. Da ich mich von klein auf fast ausschließlich in Burschen- bzw. Männergruppen bewegt habe, war die Hemmschwelle meinerseits nicht allzu groß, alle Kurse in gemischten Gruppen zu absolvieren, auch weil ich in den praktischen Einheiten sehr rasch mit meinen technischen Fähigkeiten zu überzeugen wusste. Dennoch begrüße ich die heutigen Möglichkeiten, dass Frauen gerade zum Einstieg auch reine Frauenkurse besuchen können, weil dann die Hemmschwelle für viele kleiner ist, sich fortzubilden.
Trainerausbildungen leben vom offenen Erfahrungsaustausch der TeilnehmerInnen, deswegen finde ich es wichtig, dass die Kurse gemischt bleiben, je höher die Ausbildung ist. Und je höher die Ausbildung, desto höher ist auch die Akzeptanz einer Frau gegenüber bzw. die soziale Kompetenz der Trainer.
Schwierigkeiten gab es – wenn überhaupt – weil die Infrastruktur teilweise nur auf männliche Teilnehmer zugeschnitten war bzw. ich als Frau ausweichen musste – z. B. kein Doppelzimmer mit Seeblick möglich, da ja keine zweite Frau im Kurs, dafür das Einzelzimmer im letzten Eck oder komplett ausquartiert. Aber davon habe ich mich nicht abschrecken lassen und mich am Ende durchgesetzt.
Insgesamt war es ein wichtiger Reifeprozess für mich, da ich schon auch immer das Gefühl hatte, ich muss mich als Frau mehr beweisen bzw. dass alle auf mich genau hinschauen. Was ja auch irgendwie logisch ist, wenn man jahrelang oft als einzige Frau unter zwei- bis dreihundert männlichen Trainern bei Fortbildungen sitzt. Am Ende weiß ich aber auch, dass ich mir selbst mit meinen Ansprüchen am meisten Druck gemacht habe bzw. mache. Umso toller ist es, jetzt Role-Model für hoffentlich viele weitere Trainerinnen sein zu können.
Wie sieht es generell mit der Chancengleichheit im österreichischen Fußball aus?
Die Rahmenbedingungen haben sich auf den unterschiedlichsten Ebenen in den vergangenen 22 Jahren, die ich selbst hautnah in den unterschiedlichen Funktionen miterlebt habe, deutlich entwickelt und verbessert. Aber klar ist, dass wir noch lange nicht von Chancengleichheit reden können. Für mich ist aber ein wichtiger Schritt getan, wenn der Fußball in der Gesellschaft auch als Frauensport bzw. als Sport für alle – also auch für Mädchen – anerkannt wird. Und so alle Mädchen auch die Möglichkeit bekommen, Fußball spielen zu können, wenn sie das wollen.
Du bist 22-fache Teamspielerin, 129-fache Bundesligaspielerin und einzige UEFA Pro-Lizenz-Inhaberin Österreichs. Was möchtest du jungen angehenden Trainerinnen mit auf den Weg geben?
Wir Frauen neigen dazu, selbst unsere größten Kritikerinnen zu sein. Man darf zwar nicht geschlechterspezifisch pauschalisieren, aber meine Erfahrung zeigt mir, dass wir Frauen weniger an uns zweifeln, sondern mutig und mit Überzeugung unseren Weg gehen sollten. Deshalb ist meine Botschaft, wenn ihr etwas gerne macht, lasst euch von niemanden aufhalten, schon gar nicht von euch selbst!
Wann wird es die erste Bundesligatrainerin in Österreichs Männerfußball geben?
Dann, wenn ein Verein sich dafür entscheidet, dieses Projekt anzugehen, weil er fachlich und menschlich von einer Kandidatin überzeugt ist und diese auch den Mut mitbringt, den Schritt zu gehen.
Danke für das Interview und viel Erfolg bei der Europameisterschaft.
Interview: Wolfgang Hartweger
Presseinfo
BSPA Wien
24.06.2022