Marcel Koller

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Das Kalenderjahr 2016 mag ÖFB-Teamchef Marcel Koller wie ein Alptraum vorkommen. Nach der vermeidbaren 0:1-Heimniederlage gegen Irland sind etliche Fragen offener den je! Antworten darauf liegen offensichtlich auf der Hand. Ein Kommentar von Thomas Muck und Gerhard Weingrill.

Im Erfolgsfall hat ein Trainer viele Freunde – wenn es nicht läuft ist die Kritik am Cheftrainer all gegenwärtig. Manchmal wird sie offen, manchmal hinter vorgehaltener Hand geäußert. Die Baustellen der Nationalmannschaft sind offensichtlich – einige Lösung lägen für Marcel Koller eigentlich auf der Hand. Werfen wir einen Blick darauf.

Christian Fuchs – unersetzt(bar) als Spieler und Person abseits des Feldes
In der erfolgreichen EM-Qualifikation war Christian Fuchs mehr als nur „der Linksverteidiger“. Dank seiner bärenstarken, zum Teil auch dominanten Leistungen auf seiner Position, konnte David Alaba ins zentrale, defensive Mittelfeld vorrücken und auf seiner Lieblingsposition auflaufen. Nicht nur der sportliche Erfolg gab dem Teamchef mit dieser Aufstellungsvariante Recht.

Was man aber auf dem ersten Blick nicht sah oder erkennen wollte, war die Wichtigkeit von Christian Fuchs innerhalb der Mannschaft. Er gab den Takt auf dem Feld vor, er war die Führungsperson zu der viele Spieler auf- und zurückblickten.

Mit dem Rücktritt aus dem Nationalteam hatte Marcel Koller gleich zwei Probleme. Ein sportliches und ein menschliches. Wer die Leistungen der Nationalmannschaft in den vergangenen Spielen genauer analysiert wird feststellen, dass beide nicht gelöst sind.

Aus dem Rücktritt von Christian Fuchs ergab sich der nächste offene Punkt.

Linksverteidiger-Position
Jahrelang durch Christian Fuchs ideal abgedeckt, aber seit dem Rücktritt klafft ein Loch. Marcel Koller setzt auf David Alaba im zentralen Mittelfeld. Die letzten Leistungen im Nationalteam ließen die Diskussionen über diese Entscheidung nicht verstummen. Im Gegenteil!

Zurück zur Linksverteidiger-Position – in den letzten Spielen probierte Marcel Koller Kevin Wimmer von Tottenham auf dieser Position aus. Mit überschaubarem Erfolg! Der Innenverteidiger der Spurs wirkte unglücklich, aber auch in seinen Möglichkeiten limitiert. Dem England-Legionär, mit beschränkter Einsatzzeit, wird von Teamchef Marcel Koller mit dieser Aktion kaum ein Gefallen getan.

Welche Alternativen gäbe es zu David Alaba links hinten? In Wahrheit gibt es zwei Optionen zur „aufgelgeten Lösung“. Markus Suttner hat im Verein beim FC Ingolstadt zuletzt gespielt und konnte dabei auch überzeugen. In der heimischen Meisterschaft gibt es mit Andreas Ulmer einen Spieler der über a) die nötige Internationale Erfahrung, aber auch b) die sportliche Qualität besitzen würde. In der öffentlichen Meinung gibt es nur einen „Kandidaten“ für diese Position. Das bringt uns zur nächsten sportlichen Baustelle.

Strukturproblem im zentralen Mittelfeld
Das zentrale, defensive Mittelfeld im ÖFB-Team wird aus mehreren Gründen immer mehr zu einem strukturellen Problem. Julian Baumgartlinger ist aufgrund seiner Spielweise gesetzt. Marcel Koller kann aufgrund seiner Spielweise nicht mal auf den Leverkusen-Legionär verzichten wenn er im Verein nur spärlich zum Einsatz kommt. Nur wer ist der passende Partner im zentralen Mittelfeld?

David Alaba ist es nur teilweise. Der Linksverteidiger des FC Bayern ist aufgrund seiner spielerischen Intelligenz in guten Momenten äußerst wichtig. Jedoch ist dem vermutlich besten Einzelspieler der Österreicher eines anzumerken: Die fehlende Routine auf dieser Position. Im Verein spielt David Alaba bekanntlich auf der Linksverteidiger-Position. Kleinere Stellungsfehler scheinen vorprogrammiert. Theoretisch wären auch Schöpf und Junuzovic auf der Position neben Baumgartlinger eine Option, aber hier würde selbiges gelten wie für David Alaba.

Auch die defensivere Ausrichtung im zentralen Mittelfeld ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Zwar befindet sich Stefan Ilsanker (RB Leipzig) aktuell in guter Form, jedoch haben Länderspiele in der Vergangenheit bewiesen, dass der 27-Jährige gemeinsam mit Julian Baumgartlinger nicht gerade eine „Erfolgspartnerschaft“ ist. Möglicherweise sorgt eine Änderung in der Formation (Bsp.) 4-1-4-1 für die Lösung dieses sportlichen Problems.

Mangelnde Kompaktheit
In der EM-Qualifikation zeichnete Österreich einen Umstand aus. Die ÖFB-Auswahl war defensiv wie offensiv äußerst kompakt. Es stand eine Einheit auf dem Feld. Jeder lief für Jeden! Auch die Meter, die sprichwörtlich schmerzten wurde gelaufen und sie wurden gefühlt gerne in Kauf genommen. Mit folgenden Nebenaspekten: Defensiv wurde nur selten etwas zugelassen und offensiv hatte man häufig Überzahlsituationen. Dementsprechend war auch der Unterhaltungswert für Frau und Herrn Österreicher hoch. Man freute sich auf die Spiele der Nationalmannschaft. Dieser Umstand scheint von Spiel zu Spiel immer mehr zu schwinden.

Hierarchie in der Mannschaft
Mit dem Abgang von Christian Fuchs und der Verletzung von Robert Almer ist die Hierarchie innerhalb der Mannschaft eine offensichtliche Baustelle. In den letzten beiden Länderspielen war kaum ersichtlich, wer der Anführer der Mannschaft auf und abseits des Platzes ist. Es ist niemand erkennbar, der die Kollegen anfeuert, aufmuntert oder die sprichwörtliche „Schlagzahl“ vorgibt. In den letzten Spielen hatte man den Eindruck, dass jeder Spieler genug mit „sich selbst“ zu tun hatte.

Fehlender Plan B
Schon bei der EM in Frankreich, und auch in den Spielen davor, war eines erkennbar: Österreich fehlt der Plan B. In der Spielanlage, taktisch, personell, aber auch in der öffentlichen Darstellung hat das Nationalteam und auch Teamchef Marcel Koller Arbeitsbedarf.

Die Spielanlage ist längst keine Überraschung mehr. Die Teams wissen längst, wie sie gegen die ÖFB-Auswahl zu agieren haben. Jeder Gegner weiß, wo die offenen Räume sind, um Pressing-Situationen zu entgehen. Die meisten Gegner auf gehobenem europäischem Niveau haben das Zeug, diese Schwächen auszunützen.

In Punkto Taktik ist das 4-2-3-1 in Stein gemeißelt. Warum eigentlich? In der von der Öffentlichkeit gerne kritisierten Bundesliga zeigen einige Trainer taktische Flexibilität während des Spiels auf höchstem Niveau. Zugegeben, ein Vereinstrainer hat mehr Zeit diese Varianten zu erarbeiten. Im Nationalteam sind diese aber seit Jahren nicht erkennen. Taktische Überraschungen sind Mangelware oder zum Teil nicht existent.

Personell hat Teamchef Marcel Koller durchaus Varianten. In der heimischen Meisterschaft überzeugt Andreas Lukse bei SCR Altach. Osman Hadzikic drängt sich mit starken Leistungen als Ersatzmann von Robert Almer bei Austria Wien auf. Linksverteidiger Andreas Ulmer überzeugt bei Red Bull Salzburg und verdrängt Neuzugang Stefan Stangl (erhielt im Nationalteam stets den Vorzug gegenüber seines Teamkollegens) auf die Ersatzbank. Deni Alar kann bei Sturm Graz auf eine starke Herbstsaison verweisen. Das waren die Optionen auf nationaler Ebene. Weitere Kandidaten gefällig? Guido Burgstaller ist beim 1. FC Nürnberg das sprichwörtliche Um und Auf in der Offensive. Karim Onisiwo erhält in der deutschen Bundesliga (Mainz 05) immer mehr Einsatzzeit. Marco Knaller treibt mit seinen Paraden die Gegner des SV Sandhausen zur Verzweiflung. Thorsten Schick brachte es in der Schweiz bei den Young Boys Bern in 18 Spielen auf beachtliche 10 Scorer-Punkte.

Sie sehen, Statements, wonach es keine personelle Optionen für das Nationalteam gäbe, entsprechen nicht den Tatsachen. Die Optionen sind vorfanden. Der Teamchef muss sie – je nach Form der Spieler – an- bzw. wahrnehmen.

Teamchef Marcel Koller
Im Fußball zählen die Resultate. 2015 war Marcel Koller der Held der Nation – Ende 2016 ist der Teamchef alles andere als „unantastbar“. Die Gründe dafür sind vielfältig.

In der Vergangenheit hatte der Schweizer eines. Eine goldene Hand mit seinen Personalentscheidungen. Zwei Beispiele gefällig? Torhüter Robert Almer und Stürmer Marc Janko hatten bei ihren Vereinen einen äußerst schweren Stand. Im Nationalteam liefen sie zur Höchstform auf. Marcel Koller hat scheinbar das Gefühl für diese Situationen verloren. Warum?

Zum einen mag die Anzahl dieser Spieler in den letzten Monaten angestiegen sein. Auf der anderen Seite ist es zum Teil auch damit zu tun haben, dass der Teamchef die sprichwörtliche „Hand für die Situation“ verloren zu haben scheint. War das Nationalteam früher eine „Wohlfühloase“, so wurde sie selbst zum Pflegefall und somit auch der Teamchef.

Die Nibelungentreue ist Marcel Koller bereits bei der EM in Frankreich auf den Kopf gefallen. Konsequenzen daraus gezogen hat der Teamchef kaum. Der Schweizer zieht seine Linie konsequent durch – ohne Rücksicht auf Verluste! Im Erfolgsfall ist man da als Trainer der Held, wenn es nicht funktioniert ist man als Trainer in der Kritik!

Marcel Koller muss in der Weihnachtspause Lösungen finden und Dinge verändern! Die Ausgangsposition für eine erfolgreiche WM-Qualifikation hat sich deutlich verschlechtert. Die Chance auf zumindest Platz zwei ist noch vorhanden. Nun gilt es aber (endlich!) die richtigen Rückschlüsse zu finden. Ansonsten wird die WM in Russland ohne Österreich über die Bühne gehen. Aufgrund der zuletzt gezeigten Leistungen hat die ÖFB-Auswahl im Moment auch ehrlich gesagt bei der WM-Endrunde nichts verloren.

15.11.2016