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Am Mittwoch kämpft der SK Rapid Wien im „Cup der letzten Hoffnung“ um die Rettung einer Saison die eigentlich nicht mehr zu retten ist. Der Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in etwa so groß wie der Rückstand auf den ungeliebten Tabellenführer aus Salzburg. Eine Analyse von Thomas Muck.

Kader: Teuer, zu groß und unter den sportlichen Möglichkeiten
Nach dem Trainerwechsel von Barisic zu Büskens wurde der Kader prominent verstärkt. Die beiden Star-Neuzugänge Traustason und Mocinic kamen jedoch spät zur Mannschaft. Zu spät? Ohne Vorbereitung waren die hohen Erwartungen nicht zu erfüllen.

Im Frühjahr 2017 sind 30 Spieler im Kader von Rapid Wien. Es ist ein zu großer, zu teurer, aufgeblähter Kader. Natürlich sind einige Akteure im Kader angeführt, welche hauptsächlich für die Amateure oder in den „höheren Nachwuchsmannschaften“ tätig sind, trotzdem darf eine solche Kadergröße getrost als suboptimal bezeichnet werden. Neo-Sportdirektor Bickel gelang es auch in der Wintertransferperiode nicht, den teuren, aufgeblähten Kader abzuspecken.

Ex-Trainer Mike Büskens ist durchaus ein berechtigter Vorwurf zu machen: Er setzte auf einen kleinen Stamm von Spielern, durch die hohen Belastungen, aufgrund des dichten Spielplans, waren Verletzungen vorprogrammiert. Spieler aus der zweiten Reihe waren daher rasch unzufrieden. Der Umgang mit Leistungsträgern aus der Saison 15/16, wie Innenverteidiger Sonnleitner, in der Außendarstellung war „diskutabel“.

Bleiben wir bei diesem Aspekt. Unter Nachfolger Canadi war der öffentliche Umgang mit einigen Spielern ebenfalls zu hinterfragen. Neue Reizpunkte zu setzen, ist Alltagsgeschäft eines Trainers. Der Umgang mit einigen Spielern und die öffentliche Begründung dafür war alles andere als ideal. Der Druck auf den Cheftrainer war früh groß. Auch, weil er in einigen Spielen auf Akteure setzte, die noch nicht bereit für die Kampfmannschaft waren.

Egal ob unter Büskens, Canadi oder in den ersten Spielen unter Djuricin: Die Schlüsselspieler bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück. Warum? Die Gründe sind unterschiedlich und individuell zu betrachten. Zum Beispiel die hohen individuellen körperlichen Belastungen durch den Spielplan. Die Katze beißt sich seit dem Saisonbeginn sprichwörtlich in den Schwanz. Fakt ist, dass die Mehrzahl der Spieler weit hinter den persönlichen Möglichkeiten bleibt. Wohl der Hauptgrund für die sportlich angespannte Situation.

Transfers: Mittelfristig viel Perspektive – kurzfristig (noch?) kein Qualitätssprung
Nach den Transferperioden 2016/17 steht bei Rapid Wien ein Transferdefizit. Kolportierte Einnahmen von 5,15 Millionen Euro stehen Ausgaben in der Höhe von 5,90 Millionen Euro gegenüber. Die starke linke Seite aus Stangl und Kainz verließen die Hütteldorfer. Dafür kamen interessante Legionäre wie Traustason oder Mocinic. Auf den ersten Blick haben beide durchaus das Zeug eine sportliche Bereicherung für das Team zu sein. Bei einer kolportierten Ablösesumme von je zwei Millionen Euro ist dies durchaus erwartbar. Keine Sommervorbereitung und unterschiedliche Verletzungen bremsten das Duo ein.

Legionäre wie Kvilitaia, Joelinton oder Talente wie Malicsek oder Entrup hatten das Zeug mittelfristig für einen Qualitätsschub zu sorgen. Kurzfristig waren diese Neuzugänge aber eher Spieler mit „Entwicklungspotential“ und nicht als sofortige Hilfe anzusehen.

Fazit:
Sportdirektoren haben einen undankbaren Job. Es gilt einen Spagat aus kurzfristiger Verstärkung und Spieler mit sportlicher Perspektive zu finden. In der Spitze gelang es Rapid jedoch nicht, den Kader zu verstärken. Letzteres kann man Ex-Sportdirektor Andreas Müller nicht absprechen. Bei Transfers gibt es in der Regel auch einen Glücksfaktor – diesen hatte der Deutsche definitiv nicht. Trotzdem ist/war der Kader mit diesen Transfers deutlich besser, als es der aktuelle Tabellenplatz aussagt.

In der Saison 2016/17 gelang es weiter nicht, den Ex-Torjäger Beric zu ersetzen. Von einem 15 bis 20 Tore Stürmer sind die Hütteldorfer gefühlt genauso weit entfernt wie von der Tabellenspitze.

Durchgehendes sportliches Konzept ging verloren und wird jetzt verzweifelt gesucht
Inhaltlich kann man Ex-Sportvorstand Andreas Müller durchaus einige Punkte vorhalten. In einem Punkt hat der Sportdirektor aus Deutschland ausgezeichnete Arbeit geleistet: Es gab ein sportliches Konzept und dieses wurde von allen handelnden Personen mitgetragen.

Seit dieser Saison gibt es aber eine Abkehr davon. Aktuell trudelt der SK Rapid ohne diese Nachhaltigkeit dahin. Die sportliche Identität von der Kampfmannschaft, über die Amateure bis zum Nachwuchs, ist weder auf den ersten, noch auf dem zweiten Blick nicht erkennbar. Auf Sportdirektor Fredy Bickel wartet hier Schwerstarbeit.

Wer berät Präsident Krammer im sportlichen Bereich?
Rapid Präsident Michael Krammer ist ein sehr erfolgreicher Mann in der Wirtschaft. Der Telekommunikationsbereich ist definitiv kein einfaches Pflaster. Der berufliche Werdegang des 56-Jährigen verdient Respekt und Anerkennung. Wie auch jeder Mensch hat Michael Krammer Stärken und Schwächen. Dafür lässt er sich im Berufsleben von externen Experten beratschlagen. Das ist alles andere als verwerflich oder gar als negativer Aspekt zu sehen – im Gegenteil! Eine Frage drängt sich jedoch auf: Wer berät Michael Krammer im sportlichen Bereich?

Rund um die Verpflichtung von Ex-Trainer Damir Canadi erklärte der erfolgreiche Manager, dass er von Experten beratschlagt worden sei. Diese hätten ihm zur Verpflichtung des damaligen Altach-Erfolgstrainers geraten. Eine kapitale Fehleinschätzung! Die Vorarlberger bevorzugten einen eigenen, anderen Spielstil. Daher ist klar, dass Altach auch andere „Spielertypen“ unter Vertrag hat als Rapid. Das der/die Berater des Präsidenten diesen Umstand in ihren Empfehlungen nicht einarbeiteten, darf als durchaus fahrlässig bezeichnet werden. Die Ära Damir Canadi stand daher schon bei seiner Bestellung unter keinem guten Stern. Michael Krammer sollte daher auch seinen Beraterkreis auf seine fachliche Kompetenz hinterfragen.

Die „Steffen Hofmann-Falle“ oder wo ist der „Kronprinz für den Fußballgott“?
Die Saison 2016/17 machte eines bei Rapid offenkundig. Die Hütteldorfer sind sportlich wie auch abseits des Platzes von Steffen Hofmann abhängiger denn je. Dies wäre eigentlich kein großes Problem, wäre der Spielmacher nicht am Zenit seiner Karriere. Der gebürtige Würzburger hat jedoch bereits 36 Jahre auf der letzjährigen Geburtstagstorte ausgeblasen. Der Rapid-Kapitän befindet sich ehrlich gesagt im (Spät-)Herbst seiner Laufbahn. Die sportliche Planung im Offensivbereich auf einen beinahe 37-Jährigen zu bauen ist grob fahrlässig, aber geschehen.

Steffen Hofmann ist aktuell aus der Mannschaft nicht wegzudenken. Ist er fit, spielt er, egal wie die Form gerade ist. Ein Kronprinz des „Hütteldorfer Fußballgotts“ ist allerdings keiner in Sicht. Der Spielmacher oder die 10er-Position ist adäquat mit dem vorhandenen Kader nicht doppelt besetzt. Rapid ist im aktuellen System auf Gedeih und Verderb der Verfassung seines Altstars ausgeliefert. Die Verantwortlichen wären längst gut beraten einen geeigneten Nachfolger zu verpflichten. Fakt ist: Steffen Hofmann ist auf dem Platz aktuell nicht zu ersetzen. Weder als Leithammel und schon gar nicht auf seiner Position. Egal wie gut oder schlecht seine Leistungen sind. Dieser Umstand sollte eigentlich zu denken aufgeben.

Verein wirtschaftlich top aufgestellt – aber sportlich?
Im 21. Jahrhundert ist Profisport ohne Sponsoren nicht lebensfähig. Von den Risken der Abhängigkeit einer Einzelperson oder Einzelfirmen kann momentan die Vienna ein (leidvolles) Lied singen. Bei aller gerechtfertigter Kritik am Präsidenten Krammer und Geschäftsführer Peschek gilt es anzumerken, dass der Verein wirtschaftlich auf sehr gesunden Beinen steht. Dank des Allianz Stadion kann man ohne Europacupteilnahme eine Saison mit einer „schwarzen 0“ abschließen. In der jüngeren Vergangenheit war eine Saison ohne internationalem Geschäft eine mittlere Katastrophe.

So ausgezeichnet Rapid aktuell im wirtschaftlicher Hinsicht dasteht, sieht es in sportlicher Hinsicht anders aus. An der Vereinsspitze sitzt niemand mit Fußballhintergrund, der den Sinn für Fußball hat. Rapid ist aktuell vom Sportdirektor abhängiger den je, wie die Ratschläge der Berater von Präsident Krammer in der Causa Canadi bewiesen haben.

Allianz Stadion – vom Traum zum Alptraum
Das neue Allianz Stadion in Hütteldorf ist noch kein Jahr in Betrieb. Von der Euphorie des Eröffnungsspiels gegen Chelsea ist mittlerweile rein gar nichts mehr übrig. Die neue Arena hat längst seinen sportlichen Schrecken verloren. Die Stimmung ist für heimische Verhältnisse noch immer als herausragend zu bezeichnen. Die sportliche Ausrichtung der Mannschaft und ihre Spielweise können da aber nicht mithalten.

Kommunikation nach Außen in Krisensituationen: „Jeder gegen Jeden“
Die Saison 2016/17 kann der SK Rapid längst als völlig verkorkst zu den Akten legen. Die Hütteldorfer mag es trösten, dass es auch größere Vereine in einer solchen Situation gibt und gab. Sportlich „suboptimale Phasen“ sind also keinesfalls außergewöhnlich und gehören in Wahrheit zum Zyklus eines Sportvereins. Egal ob auf Profi- oder Amateurniveau.

In diese Situationen gilt folgende Regel: “Nach außen die Ruhe bewahren, so Auftreten und auch so kommunizieren“. So weit so gut – bei Rapid war dies in den vergangenen Wochen konträr dazu. Sprichwörtlich „Jeder schießt auf Jeden“. Legenden auf den Präsident, der Präsident ballert zurück und feuert eine Breitseite gegen die Medien. Ex-Spieler kritisieren die Mannschaft und den Ex-Trainer und die „Ultras“ forcieren mit ihrem Auftreten alles andere als eine Ruhephase.

Die äußere Darstellung beim SK Rapid Wien ist aktuell nicht die eines Spitzenklub, wo alle an einem Strang ziehen sollten. Das eigene Wohl und der eigene Ruf bei einigen Personen scheinen wichtiger als jenes des Vereins. Dabei meinte Kapitän Hofmann vor dem Cup-Spiel gegen den LASK korrekterweise, dass niemand „wichtiger als der Verein ist“. Es wäre empfehleswert, wenn sich alle Personen auch daran halten würden.

Die Macht der „Ultras“ im Mitgliederverein Rapid
Die Hütteldorfer haben sich das Image des Mitgliedervereins auferlegt. Aus Marketingsicht keine schlechte Idee. Man positioniert sich frontal gegen Red Bull Salzburg. Die Salzburger sind nicht nur wirtschaftlich sondern auch sportlich in Österreich deutlich über alle anderen Vereine des Landes zu stellen. Auf der Zuschauerseite ist Rapid die Nummer eins in Österreich. Mit einem Zuschauerschnitt von knapp über 21.000 Zuschauern sind die Hütteldorfer die klare Nummer eins und haben fast doppelt so viele Besucher wie Sturm Graz auf Rang zwei.

Die Westtribüne sorgt bei Heimspielen für eine tolle Stimmung. Auch in fremden Stadien ist der Anhang der Hütteldorfer in großer Zahl vertreten. Im Normal- oder Erfolgsfall ein Bonus. Wenn es nicht läuft, werden die eigenen Fans auch schon mal zur Last. Die „Aussprache“ zwischen den Ultras und der Mannschaft auf einem Autobahnparkplatz und deren Veröffentlichung sind für einen Fußballverein in den europäischen Top 100 unwürdig. Vom Imageschaden für das Wirtschaftsunternehmen Rapid mal nicht zu reden.

Generell ist die Frage der Macht der „Ultras“ im Mitgliederverein Rapid zu hinterfragen. In der „Sky“-Sendung „Talk und Tore“ sorgte Ex-Sportvorstand Andreas Müller mit seinen Aussagen für Aufsehen. Demnach haben die „Ultras“ zu viel Macht im Verein. Präsident Krammer und der ehemalige Vorstandskollege Peschek bekamen ihr Fett weg. Sie würden mit den „Ultras im Bett liegen“. Im Wiener Dialekt würde man schlicht und ergreifend von einer „Watschn“ sprechen.

Zwar gab es ein Dementi von Vereinsseite, aber die Diskussionen sind los- und breitgetreten. Wie viel Macht dürfen Ultras/Fans in einem Verein wie Rapid haben? Dürfen sie überhaupt Macht haben und Einfluss auf die Ausrichtung des Vereins nehmen? Eine nüchterne, analytische Diskussion ist aufgrund der Emotionalität des Themas kaum noch möglich.

Seit vielen Jahren betreibt Rapid Wien eine sehr liberale Fanpolitik. Bei schwerwiegenden Fehlverhalten hielten die handelnden Personen die schützende Hand über die Ultras. Ist nicht auch diese Ausrichtung des Vereins zu hinterfragen? Sind Medienberichte über „Fanvorfälle“ nicht längst auch schädigend für die „wirtschaftliche Marke“ Rapid?

Auf der anderen Seite benötigt der Verein eine lautstarke, farbenfrohe Fankurve, um diese Bilder auch bei Sponsoren einzusetzen. Der Fan/Stadionbesucher ist für Rapid daher in vielerlei Hinsicht sehr wichtig. Ist der Verein daher in vielen Aspekten nachsichtiger als er es eigentlich sein sollte, weil er in Wahrheit keine andere Wahl hat?

Man kann daher die Fans für etliche Fehlgriffe (berichtigterweise) kritisieren! Solange der Verein daraus aber auch (wirtschaftlichen) Nutzen ziehen kann, wird es kaum zu Änderungen kommen.

Fazit:
Beim SK Rapid Wien gibt es viele offene Baustellen. Manche sind in den vergangenen Tagen sehr offen ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. Um die aktuellen Probleme lösen zu können bedarf eines – Ruhe durch sportlichen Erfolg! Dieser ist auf dem ersten und zweiten Blick nicht in Sicht.

Dabei würde es gerade das benötigen. Sportlichen Erfolg, viel harter Arbeit der handelnden Personen und ein Umfeld welches akzeptiert, dass im vergangenen Jahr Fehler passierten, die es nun schleunigst abzustellen bzw zu korrigieren gilt. Ob alle beteiligten Parteien die benötigte Geduld aufbringen, werden die kommenden Wochen zeigen.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass der SK Rapid Wien vor sehr entscheidenden Wochen steht. Es gilt Sponsoren („Teampartner“) bei Laune zu halten und wieder eine positive Stimmung um den Verein aufzubauen. Wie sich die Hütteldorfer aktuell in allen Belangen präsentieren, ist alles andere als eines Spitzenklubs würdig.

Die handelnden Personen müssen daher besonders auf ihre Wortwahl achten. Es wurde auf Kosten des Vereins öffentlich Schmutzwäsche gewaschen, wo es eigentlich nicht notwendig gewesen wäre.

Quo vadis, Rapid Wien? Eine interessante Frage, auf die es aktuell keine wirkliche Antwort gibt. Das Cup-Semifinale gegen den LASK und das darauf folgende Meisterschaftsspiel gegen Admira Wacker fallen definitiv unter die Rubrik „sportlich richtungweisend“. Ob der Verein im Erfolgsfall zur Ruhe kommt, darf stark bezweifelt werden. Im Falle des Misserfolgs ist nicht nur Feuer am Dach, sondern der Vollbrand ausgebrochen.

Der SK Rapid Wien ist in der Saison 2016/17 ein Verein, der nicht zu Ruhe kommt. Dabei sollte er es kommen, um wieder den Weg in ruhiges Fahrwasser zu bekommen.

26.04.2017


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