Sky Experte Marc Janko war zu Gast beim Sky Sport Austria Podcast „DAB | Der Audiobeweis Spezial Euro 2024“
Marc Janko (Sky Experte):
…über die vier EM-Halbfinalteams: „Die Namen, die noch im Rennen sind, sind von der Geschichte her sehr große Namen. Auch die Spieler sind eigentlich das Beste, das der Weltfußball zu bieten hat. Die Art und Weise war bisher aber nur schwer verdaulich. Da hat man sich, ich zumindest, schon ein bisschen mehr erwartet, zumindest erhofft. Am Ende des Tages redet man sich dann aber immer wieder darauf aus, dass die Ergebnisse zählen. Das ist auch vollkommen richtig, im Fußball erst recht. Der Gewinner hat immer Recht.“
…verrät sein „Powerranking“ vor den Halbfinals: „Spanien, Holland, Frankreich, England.“
…über die offensive Ladehemmung der Spitzenteams: „Das ist das Ambivalente, das man in England mitbekommen hat in den letzten Wochen. Es hat sich jeder beklagt über die Art und Weise, wie sie gespielt haben, mit diesem – wie es auf Neudeutsch heißt – ‚Spielermaterial‘. Das hat für große Diskussionen gesorgt. Im letzten Spiel habe ich sie aber so gut wie schon lange nicht in diesem Turnier gesehen. Das war für mich eigentlich das beste Spiel der Engländer, gegen die Schweiz. Das heißt schon was. Wenn man sich mit so etwas begnügt, sagt das schon einiges aus. Auf der anderen Seite hast du die Franzosen, die es geschafft haben, mit keinem Tor aus dem Spiel heraus ins Halbfinale zu kommen. Das ist für mich absolut absurd, wenn du die Spieler vorne drinnen siehst. Das ist das Beste, das der Weltfußball zu bieten hat. Dass die so einen biederen Zugang haben zum Fußball, hat mich sehr überrascht, aber auch enttäuscht.“
…über den französischen „Ergebnisfußball“: „Wenn du dich sehenden Auges ins Elfmeterschießen retten möchtest, dann ist es immer ein Roulettespiel. Das kann so oder so ausgehen. Wenn es nicht gut ausgegangen wäre, hätte man ihnen schon den Vorwurf machen müssen, wieso sie keinen Fußball spielen. Es geht sicherlich viel mehr. Es ist, glaube ich, sehr unbefriedigend und auch frustrierend für die Jungs da vorne. Aber, das weiß ich auch aus eigener Erfahrung, nach außen und vielleicht sogar nach innen hin rechtfertigst du das mit dem Erfolg. Du kommst weiter und denkst dir, es hat eh funktioniert. Ich glaube nicht, dass das irgendjemand von den Offensiven Spaß macht, wie sie spielen.“
…über die spanische Mannschaft: „Ich habe die Spanier ehrlicherweise nicht so am Schirm gehabt. Es ist schon so, dass die Spanier das Turnier ein bisschen als ‚Aufbauturnier‘ gesehen haben, auch in der öffentlichen Wahrnehmung, weil eben gerade ein Generationenwechsel stattfindet. Wenn man sich die Spieler anschaut, sind es nicht die absoluten Top-Weltklassespieler, wie es vor einigen Jahren noch der Fall gewesen ist, in der ‚goldenen Ära‘. Trotzdem funktioniert das Werkl. Die Mischung zwischen alt und jung ist dort insofern perfekt gewählt, von einem sehr schaumreduzierten Trainer an der Seitenlinie, Fuentes, der sein Ding durchzieht. Diese Spieler wie Nico Williams faszinieren einfach. Sie haben in dieser Mannschaft Stilmittel drinnen, wo sie auf alles im Spiel eine Antwort finden können. Sie sind momentan für mich die mit Abstand begeisterndste Mannschaft.“
…über die niederländische Mannschaft: „Sie gefallen mir insofern sehr gut, als sie nie die Ruhe verlieren, ihren Plan immer durchziehen und auch irgendwo für aktiven Offensivfußball stehen. Das imponiert mir schon. Im letzten Spiel gegen die Türkei war es ja schon so, dass man nach dem 1:0 gedacht hat, dass der Türkei wirklich die Sensation gelingt. Die Holländer sind aber auch viel geübter im Bespielen eines tiefen Blocks. Sie haben die Spieler dazu, die Eins-gegen-Eins-Situationen super auflösen können, die Geschwindigkeit und Dynamik haben. Sie haben so richtige ‚Zangler‘ in der Mannschaft drin. Das gefällt mir. Ich bin immer ein Freund davon, wenn Offensivbemühungen belohnt werden.“
…über seinen Favoriten im Duell England – Niederlande: „Wenn die Engländer nicht diesen Reset-Knopf finden und sich irgendwie in kürzester Zeit neu erfinden können, sind die Niederländer für mich ganz klar die Favoriten. Ich fand es bezeichnend und irgendwo sehr seltsam, dass Harry Kane in der 109. Minute zwei kurze Krämpfe hatte. Das ist gefühlt der beste Elfmeterschütze in ganz Europa und der nimmt ihn vom Feld. Vielleicht mache ich da jetzt zu viel daraus, aber das war für mich schon ein Zeichen, dass in der Mannschaft einiges nicht stimmt.“
…über die Bedeutung von Mbappes Verletzung: „Das tut natürlich weh und behindert ihn. Es kann aber nicht alles nur mit Mbappe stehen und fallen. Da gibt es andere Spieler, die absoluten Weltstatus haben. Da muss einfach mehr kommen.“
…über das strittige Handspiel Cucurellas bei Deutschland-Spanien: „Ich bin vor allem ein großer Verfechter von Klarheit im Schiedsrichterwesen, das geht mir seit etlicher Zeit ab. Es ist etwas, das viele beschäftigt. Für mich ist es bei der Szene, auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate, ganz klar und diskussionslos, dass es hier Handspiel geben muss. Als Ex-Spieler, die ganzen Regelauslegungen und Protokolle einmal beiseitegelegt, finde ich es gut, dass man das nicht pfeift. Wir haben auch den Vergleich mit dem Handspiel von Dänemarks Andersen, der mit dem Fingernagel den Ball berührt und es wird ein Elfmeter zugesprochen. Das ist für mich schwer verständlich, warum es da so ausgelegt wird und im nächsten Spiel, eine Runde später, wird es dann anders ausgelegt. Was mir bei der Situation mit Cucurella viel zu kurz kommt, ist viel weniger die mögliche Abseitsstellung von Füllkrug, was ja auch immer wieder diskutiert wird. Im Spiel habe ich mir sofort folgendes gedacht: Selbst wenn der Ball von Musiala durchgegangen wäre und Cucurella hätte nicht mit der Hand gespielt, dann wäre doch Wirtz im Abseits gestanden. Wieso sieht das niemand? Wieso spricht das niemand an? Du siehst in der Wiederholung, ich habe mir das gestern rauskopiert, wie Wirtz eine Bewegung mit der Hüfte macht, weil er ausweichen will. Wirtz steht definitiv im Abseits. Selbst wenn der Ball durchgegangen wäre, wäre er im Abseits gestanden. Die Situation wäre tot gewesen. Da hätte man viel Schärfe rausnehmen können, auch schiedsrichterschützend. Warum das nicht getan worden ist, verstehe ich bis heute nicht.“
…über das aktuelle VAR-Prozedere: „Niemand auf diesem Planeten versteht, warum man sich so sehr an Protokolle halten muss, wieso man die nicht ändern kann. Schiedsrichter Taylor hat es wahrscheinlich so kommuniziert, dass er gesagt hat: ‚Handspiel, aber für mich nicht strafbar‘. Jetzt hast du dieses Stilmittel VAR, bist dir bewusst, dass es um den Einzug ins Halbfinale geht, du kannst ja trotzdem, um auf Nummer sicher zu gehen, sagen: ‚So sicher wie du bin ich mir nicht. Das schau‘ ich mir noch einmal an!‘ Das ist etwas, das die Leute da draußen einfach nicht nachvollziehen können. Jetzt hast du die Möglichkeit, das noch einmal anzuschauen, aufgrund eines Protokollablaufs kannst du aber nicht draufschauen. Das entzieht sich vieler Verständnisse.“
…über etwaige Lösungen der Handspielregel: „Möglicherweise ist es die Kombination aus unnatürlicher und natürlicher Handbewegung. Natürlich, wenn du die Hände von dir spreizt, weil du einen Schuss erwartest, ist es klar, dass du da eine gewisse Absicht dahinter hast. Jeder, der sich schon einmal gedreht hat, weiß, dass man dafür vielleicht auch ein bisschen die Hände braucht. Das ist so minimal weit vom Körper weg. Wenn dann, wie bei Andersen, ein Elfmeter daraus entsteht, ist das lächerlich, fast schon absurd. Da sind wir jetzt. Von allen Phasen des Weltfußballs, in denen wir über Handspiel diskutiert haben, ist es momentan die schlimmste und lächerlichste.“
…über natürliche und unnatürliche Bewegungen: „Das ist die Schwierigkeit für die Schiedsrichter, die größtenteils nie selber gespielt haben, bei allem Respekt. Sie können das einfach schwer abschätzen, was in der Situation eine natürliche Bewegung oder Körperhaltung ist. Wenn du dann immer darauf abzielst, Standbilder zu bewerten oder die Situation nicht als Ganzes bewerten kannst, weil du die Erfahrung nicht gemacht hast, weil du das mit deinem Körper selbst nie ausführen musstest, dann ist es schwer, dieser Person die Macht zu geben, über diese Situation zu urteilen.“
…über die oftmaligen Änderungen der Handspielregel: „Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht, nach all diesen Verfehlungen. Wieso holt man sich nicht Ex-Spieler in dieses Komitee und bespricht das einmal mit hochdekorierten Ex-Spielern, die schon hunderte Spiele in den Beinen haben? Ich bin mir sicher, wenn man diesen Schulterschluss sucht, dass es so besser wird. Schlimmer als jetzt kann es ja eh nicht werden.“
…über die Notwendigkeit von „echten Stürmern“ im modernen Fußball: „Es ist schwierig, das einzuschätzen. Eine richtige ‚Neun‘ wird es immer geben müssen. Die Statistiken sind vielleicht ein bisschen irreführend. Bei den Mannschaften, die ein Tor brauchten, wurde es mit einem ‚Neuner‘ zu einem anderen Spiel. Wenn du dir Weghorst bei Holland anschaust, oder auch Gregoritsch bei uns, die Mannschaften wurden viel gefährlicher. Das ist auch irgendwo die Aufgabe eines Mittelstürmers, dass er mehr Gefahr ins Spiel bringt. So etwas wird es immer geben, aber du hast natürlich, wenn das Spiel bei Null anfängt, einen gewissen Matchplan, wie du den Gegner bespielen möchtest. Viele Mannschaften, vor allem die kleineren, wählen einen eher defensiven Zugang und spielen einen tiefen Block. Gegen tiefe Blöcke ist es verdammt schwer, durchzukommen. Deswegen haben es die Gakpos bei dieser EM vielleicht besser hinbekommen, da Löcher reinzureißen, weil in der Mitte alles massiert zusammensteht. Da ist es schwer, da durchzukommen.“
DAB | Der Audiobeweis Spezial EURO 2024
In Spezialfolgen diskutieren Sky Experten und Gäste während der Europameisterschaft über die Spiele des ÖFB-Teams, das Turniergeschehen in Deutschland und besprechen weitere aktuelle Themen rund um die EURO 2024.
Die neueste Folge ist ab sofort frei empfangbar auf skysportaustria.at/podcasts/dab-der-audiobeweis/ sowie auf den gängigen Plattformen Spotify, Apple Podcast, Google Podcast, FYEO und Deezer abrufbar.
Medieninfo Sky Österreich
08.07.2024