Austria Wien ist auf der Suche nach sportlicher Verstärkung und hat dabei Mittelfeldspieler Kang-Hee Lee ins Visier genommen. Der großgewachsene 23-Jährige ist in Kontinentaleuropa bislang ein unbeschriebenes Blatt. Sportreport hat bei dem südkoreanischen Journalisten June Han nachgefragt: Was dürfen sich die Veilchen von einem möglichen Transfer erwarten? Chefredakteur Thomas Muck hat recherchiert.
Sportreport: Sie waren der Erste, der über diesen Transfer berichtete – und es ist sicherlich keine alltägliche Geschichte. Wie kam es dazu? Hat es Sie überrascht, dass ein Klub, der europäisch spielt, einen Spieler aus der K2 auf dem Radar hatte?
Han June: Ich war tatsächlich nicht die erste Person, die von Kang-Hee Lee‘s Transfer berichtete. Einige koreanische Journalisten hatten die Information bereits aufgenommen, und ich entschloss mich dazu, nach Rücksprache mit einer vertrauenswürdigen Quelle darüber zu berichten.
Auch wenn die Nachricht plötzlich kam, war sie nicht völlig unerwartet. Celtic zum Beispiel verpflichtete zuvor Kwon Hyeok-Kyu aus der K League 2. Es war also überraschend, kam aber nicht völlig aus dem Nichts.
Es ist erwähnenswert, dass die K League mit 12 Mannschaften in der ersten und 14 in der zweiten Liga operiert. Es gab Zeiten, in denen die oberste Liga bis zu 16 Teams umfasste. Was das koreanische Ligasystem recht einzigartig macht, ist seine Offenheit – im Gegensatz zu vielen europäischen Ligen gibt es keine starre Trennung zwischen Titelanwärtern und Abstiegskandidaten. In letzter Zeit ist das noch deutlicher geworden, da sich das Niveau der zweiten Liga verbessert hat und – ehrlich gesagt – das der ersten Liga insgesamt etwas gesunken ist. Dadurch ist der Abstand zwischen den Top-K2-Teams und den Mannschaften aus dem unteren bis mittleren Bereich der K1 deutlich kleiner geworden, besonders bei K2-Klubs mit Erfahrung in der ersten Liga.
Hinzu kommt, dass junge koreanische Spieler Anfang zwanzig oft die K League 2 wählen, um regelmäßig in der ersten Mannschaft zu spielen. Sowohl Kwon Hyeok-Kyu als auch jetzt Kang-Hee Lee – der kurz davor steht, seinen Wechsel zu Austria Wien abzuschließen – waren feste Bestandteile der koreanischen U23-Nationalmannschaft und haben regelmäßig auf internationaler Jugendebene gespielt. Genau diese Spielertypen sind für europäische Vereine interessant, die auf der Suche nach günstigen Talenten mit Entwicklungspotenzial sind.
Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Verwendung von Ausstiegsklauseln, die speziell auf Transfers ins Ausland zugeschnitten sind. Diese sind so strukturiert, dass sie europäische Klubs nicht abschrecken. Kombiniert mit der Arbeit koreanischer und koreanischstämmiger Agenten in Europa entsteht ein wachsendes Netzwerk, das solche Deals fördert.
Dadurch sind europäische Klubs und Scouts immer offener dafür, vielversprechende koreanische Spieler für moderate Ablösesummen zu verpflichten – auch wenn diese noch keine A-Nationalspieler sind. Der Markt verändert sich allmählich.
Sportreport: Nur sehr wenige Experten in Kontinentaleuropa kennen Kang-Hee Lee. Wie würden Sie ihn beschreiben? Was sind seine Stärken und Schwächen?
Han June: Kang-Hee Lee ist für koreanische Verhältnisse ziemlich groß – 191 cm – und selbst nach europäischen Maßstäben ist das eine beachtliche Statur. Dennoch ist er kein Spieler, der auf pure Physis setzt. Vielmehr ist er ein technisch versierter Mittelfeldspieler, der gut mit dem Ball umgeht und mit beiden Füßen passen kann.
Seine Hauptposition ist die des Sechsers oder zentralen Mittelfeldspielers, aber dank seiner taktischen Intelligenz und körperlichen Voraussetzungen wurde er auch als Innenverteidiger oder sogar als Stürmer eingesetzt. Diese Vielseitigkeit gehört zu seinen größten Stärken.
Allerdings fehlt ihm die Erfahrung in Spielen unter hohem Druck – das ist eine potenzielle Schwäche. Er ist noch jung, und Fehler in entscheidenden Momenten können passieren. Das wird sich aber mit der Zeit und mehr Spielpraxis verbessern.
Es ist auch unklar, ob seine körperlichen Voraussetzungen sich eins zu eins auf den europäischen Fußball übertragen lassen. Aber wie viele koreanische Spieler ist er fleißig, lernwillig und taktisch diszipliniert. Er leistet Beiträge sowohl in der Defensive als auch in der Offensive und kann mit einem einzigen Pass Torchancen kreieren oder selbst treffen. Auch bei Standardsituationen ist er gefährlich.
Die Tatsache, dass er über das Spielverständnis eines Innenverteidigers und die Fähigkeiten eines Stürmers verfügt, lässt vermuten, dass er sich in Europa eine spezielle taktische Rolle erarbeiten könnte.
Sportreport: Viele Experten sehen in ihm einen Spieler, der mehrere Positionen ausfüllen kann. Was ist Ihrer Meinung nach seine beste Position – die, in der er seine Stärken am besten zeigen kann?
Han June: Trotz seiner Vielseitigkeit denke ich, dass seine beste Position die des zentralen defensiven Mittelfeldspielers ist – also die Sechs – der sowohl defensiv als auch offensiv zum Spiel beiträgt. Seine Fähigkeit zu verteidigen, das Spiel zu lesen und sich in Angriffe einzuschalten, macht ihn zu einem guten Kandidaten für die moderne Mittelfeldrolle.
Falls er mit dem hohen Pressingtempo in Europa Schwierigkeiten hat, könnte er sich zu einem ballspielenden Innenverteidiger oder einem abkippenden Sechser entwickeln, der sich zwischen die Innenverteidiger fallen lässt. Er passt gut in die taktische Entwicklung des modernen Fußballs, in dem defensive Mittelfeldspieler eine zentrale Rolle im Spielaufbau übernehmen.
Die koreanische Nationalmannschaft sucht seit Längerem einen Nachfolger für frühere Sechser wie Ki Sung-Yueng oder Jung Woo-Young (aktuell bei Ulsan HD). Lees Profil gibt Anlass zur Hoffnung, dass er in eine solche Rolle hineinwachsen kann.
Sportreport: Die österreichische Bundesliga – insbesondere durch Teams wie Sturm Graz und Red Bull Salzburg – ist sehr pressingorientiert. Ist das ein Spielstil, den er aus der K2 kennt? Beeinflusst dieser Stil seiner Meinung nach seine individuellen Qualitäten?
Han June: Viele koreanische Spieler haben sich bereits gut an die österreichische Liga angepasst. Hong Hyun-Seok zum Beispiel war in Korea kein großer Name, überzeugte aber in Österreich, wechselte nach Belgien und wurde später sogar Asienmeisterschafts-Goldmedaillengewinner – jetzt spielt er in der Bundesliga für Mainz.
Auch wenn koreanische Teams nicht für taktische Kreativität bekannt sind, ist die K League ein körperlich intensiver Wettbewerb, in dem viele Teams – besonders in der K1 – eher vorsichtig spielen, da der Abstieg vermieden werden soll. Die K2 hingegen – da es keine dritte Profiliga gibt – erlaubt manchmal proaktiveren, ballbesitzorientierten Fußball.
Die K1 hat technisch stärkere Spieler, aber die Spiele in der K2 können noch körperlicher und aggressiver sein. Gleichzeitig legen viele Jugendakademien in Korea großen Wert auf Technik und Kreativität. Das heißt: Spieler wie Lee entwickeln in einer defensiv geprägten Liga Widerstandsfähigkeit, bringen aber technische Fähigkeiten aus der Nachwuchsförderung mit.
Natürlich ist das Niveau von Red Bull Salzburg eine echte Herausforderung, aber wie Hwang Hee-Chan gezeigt hat, können koreanische Spieler auf diesem Level mithalten. Lee ist noch nicht so weit – aber das Potenzial ist definitiv vorhanden.
Sportreport: Sowohl sportlich als auch persönlich ist der Schritt von Korea nach Europa ein großer. Hat es Sie überrascht, dass ein Team aus Österreich Interesse zeigt und er den Wechsel offenbar in Betracht zieht?
Han June: Obwohl Transfers koreanischer Spieler nach Europa inzwischen häufiger vorkommen, war dieser Wechsel dennoch etwas überraschend. Lee war in Korea kein besonders prominenter Spieler, deshalb kam es unerwartet, dass er für solch einen Schritt gescoutet wurde.
Es gibt aber durchaus Parallelen – zum Beispiel Lee Jin-Hyun, heute bei Ulsan, der ebenfalls nicht besonders bekannt war, als er nach Europa ging. Vielleicht hat dieser frühe Wechsel anderen wie Kang-Hee Lee den Weg geebnet.
Sportreport: Falls der Transfer zustande kommt – könnte er ein Signal für weitere Entwicklungen sein?
Han June: Ich würde nicht sagen, dass es ein Meilenstein ist, aber es spiegelt einen wachsenden Trend wider. Europäische Klubs scouten zunehmend koreanische U23-Spieler – also Spieler, die noch nicht vom Wehrdienst betroffen sind. Ein Gewinn bei den Asienspielen kann auch vom Militärdienst befreien, was U23-Nationalspieler besonders attraktiv macht.
Das Interesse kommt nicht nur aus Österreich, sondern auch aus den Niederlanden, Belgien, Portugal, Polen – und sogar aus der englischen Championship, wo Klubs inzwischen bis zu drei Spieler ohne die üblichen Arbeitserlaubniskriterien registrieren dürfen.
Ja, es ist also eher Teil eines größeren Musters als ein singuläres Signal.
Sportreport: Zum Abschluss: Wo findet man Sie? Was sind Ihre Social-Media-Kanäle?
Han June: Falls sich Ihre Frage auf Kang-Hee Lees Social-Media-Kanäle bezieht – leider weiß ich das nicht genau. Er ist noch keine bekannte öffentliche Figur.
Aktuelle Fotos von ihm findet man allerdings auf dem offiziellen Instagram-Account von Gyeongnam FC (Link, Link):
Der Transfer wurde zwar noch nicht offiziell bekannt gegeben, aber er war im letzten Spiel nicht im Kader und hat stattdessen eine Abschieds-Signierstunde im Stadion abgehalten – eine offizielle Bestätigung dürfte also bald folgen.
Mich findet man zum Beispiel auf X (Link – Profil). Wir haben auch einen YouTube-Kanal (Link) und ich habe auch eine Facebook-Page (Link).
23.06.2025