Caps-Trainer Tommy Samuelsson: Uns fehlt das Selbstvertrauen

Capitals-Trainer Tommy Samuelsson stellt sich den Fragen der Sportreport-Leser. Der Schwede spricht im Interview über Probleme und über positive Entwicklungen bei den Wienern – und warum den Special Teams das Selbstvertrauen fehlt.
Sportreport: Coach, wir haben 1.100 Einsendungen mit Fragen an Sie bekommen. Haben Sie in Ihrer Karriere schon mal ein Interview gemacht, bei dem die Leser die Fragen gestellt haben?
Tommy Samuelsson: Nein, ich glaube nicht, dass ich das schon einmal gemacht habe.
Sportreport: Sie haben vor dem Saisonstart gesagt, dass die Meisterschaft ein Langstreckenrennen mit dem Ziel, im letzten Saisonspiel zu stehen, wäre. Wie sind Sie aktuell mit dem „Rennverlauf“ zufrieden?
Tommy Samuelsson: Unsere Hoffnungen und Erwartungen waren andere. Niemand hat damit gerechnet, dass wir in eine solche Situation kommen, in der wir uns jetzt befinden. Aber jetzt müssen wir versuchen, diese Situation gut zu überstehen. Niemand kann damit zufrieden sein.
Sportreport: Ein weiteres Ziel von Ihnen war, die Spieler zu verbessern. Bei welchen Spielern sind Sie zufrieden mit der Entwicklung – bei wem muss noch mehr kommen?
Tommy Samuelsson: Ich rede lieber über die positive Entwicklung meiner Spieler als über die negative. Es gibt viele junge Spieler, die sich im letzten halben Jahr sehr gut entwickelt haben: Fischer, Pinter, Holst, Seidl. Ich hoffe natürlich, dass es so weitergeht. Denn sie sollen in Zukunft Stammspieler und Leistungsträger sein.
Sportreport: Für viele Leser ist das Powerplay und das Penaltykilling eine Problemzone bei den Capitals. Für Außenstehende ist da wenig positive Entwicklung erkennbar. Wie sehen Sie die Situation?
Tommy Samuelsson: Die Probleme haben viel mit dem Kopf zu tun. In den Special Teams benötigt man Selbstvertrauen. Das ist ein Hauptgrund, dass wir nicht die notwendigen Tore erzielen. Selbstvertrauen ist für Spieler auf diesem Niveau sehr wichtig. Wir hoffen, dass wir einige Spiele am Stück in den Special Teams gut spielen können. Dann kommt das Selbstvertrauen dazu und wir spielen wieder besser.
Sportreport: Stichwort Taktik/System. Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung auf dem Eis?
Tommy Samuelsson: Sehr zufrieden! In unserem Spiel müssen die Spieler viel eislaufen. Wir hatten einige Spiele – besonders das Heimspiel gegen Ljubljana – in denen wir die bessere Mannschaft waren. Oft fehlten uns nur Kleinigkeiten um Spiele zu gewinnen.
Sportreport: Wir haben viele Fragen zum Thema Scouting und Legionäre bekommen. Wer beobachtet mögliche Neuzugänge? Sind Sie dafür zuständig, der Sportdirektor – oder vertrauen die Capitals auf externe Fachkräfte?
Tommy Samuelsson: Wie in allen Bereichen im Eishockey ist es eine Team-Angelegenheit. Beim Scouting ist man so vernetzt, dass man viel mit anderen Leuten spricht. Mit ehemaligen Trainern, Managern oder Teamkollegen, die mit dem Spieler zusammengearbeitet haben.
Sportreport: Den Kader 2011/12 haben Sie gemeinsam mit Sportdirektor Martin Platzer zusammengestellt. Wer hatte am Ende das letzte Wort bei den Spielerverpflichtungen? Hatten Sie ein Veto-Recht?
Tommy Samuelsson: Auch hier gilt: Die Zusammenarbeit ist wichtig. Wir reden immer über Spieler, die zu unserem Kader passen. Bei Spielerverpflichtungen sind der Teamgeist und die Zusammenarbeit wichtig. Nur gemeinsam kann man eine gute Performance abliefern. Wir arbeiten sehr gut zusammen.
Sportreport: Bis Ende Jänner können die Capitals noch theoretisch einen Spieler tauschen. Steht bereits fest, wer getauscht wird und welcher Spieler verpflichtet wird?
Tommy Samuelsson: Wir sondieren den Markt seit dem Saisonstart laufend. Im Moment ist aber kein Spieler auf dem Markt, der uns weiterhelfen würde. Wir beobachten die Lage sehr genau. Entscheidung ist aber noch keine gefallen.
Sportreport: Reinhard Divis spielt praktisch ohne Pause. Leserfrage: Kann Backup-Goalie Stefaniszin ihn gleichwertig ersetzen?
Tommy Samuelsson: Reinhard ist mein Stammtorhüter! Ich bin ein Trainer, der nicht viel wechselt. Mein Stamm-Goalie hat mein vollstes Vertrauen. Dazu kommt noch etwas: In unserer Situation wird der Goalie generell weniger gewechselt. Ich denke, dass man in der Mannschaft wenig ändern sollte.
Sportreport: Vor der Saison haben Sie viel über Christoph Harand gesprochen. Nach seiner Verletzung ist er jetzt ohne Verein. Warum? Wurde er ein Opfer der umstrittenen Punkteregel?
Tommy Samuelsson: Ja, leider! Wir hatten die vollen 60 Punkte schon beisammen. Das Reglement hat uns hier nicht geholfen.
Sportreport: In den Medien wurde zuletzt über „atmosphärische Störungen“ innerhalb der Mannschaft berichtet. Wie sehr war der Psychologe Tommy Samuelsson in den vergangenen Wochen gefordert?
Tommy Samuelsson: Das ist überhaupt kein Thema mehr im Kader. Wir alle haben ein Saisonziel und das wollen wir gemeinsam erreichen. Wir wissen, dass wir nicht die Leistung gezeigt haben die wir eigentlich drauf hätten. Das ist ärgerlich. Hoffentlich schaffen wir es als Team gemeinsam noch in den letzten Spielen unter die ersten sechs.
Sportreport: Viele sagen, dass Sie ein sehr menschlicher Trainer sind, der Spieler weiter entwickelt. Sind Sie am Ende „zu menschlich“ als Trainer? (Anm.: Die Frage wird zum Teil auf Schwedisch gestellt.)
Tommy Samuelsson: (schmunzelt) An Ihrer Aussprache müssen wir noch arbeiten! Sie haben jetzt zwei Trainingseinheiten in dieser Woche gesehen. Die Spieler werden in jeder Einheit körperlich voll gefordert. Der Kader zieht mit. Natürlich muss man aber auch ein Mensch sein und auf die Spieler eingehen.
Sportreport: Die Silver Caps waren ein großes Thema für unsere Leser. Man sieht Sie bei jedem Heimspiel in der Halle. Welcher Spieler hat Ihrer Meinung nach mittelfristig das Zeug, um in der Kampfmannschaft zum Einsatz zu kommen? Warum sind die Silver Caps-Spieler im Moment keine Option in der Kampfmannschaft?
Tommy Samuelsson: Es ist eine sehr junge Mannschaft. Trainer Philippe Horsky leistet ausgezeichnete Arbeit. Wenn man sieht, wo die Spieler vor fünf, sechs Monaten gestanden sind und wo sie jetzt sind, merkt man den Unterschied. Man darf aber nicht vergessen, dass viele Spieler in der vergangenen Saison auf einem anderen Niveau trainiert und gespielt haben. Da sind Wellentäler in ihrer Leistung ganz normal.Viele Spieler haben sich individuell stark verbessert. Zum Beispiel ein Seidl oder ein Fichtner. Es gibt viele Spieler, die in der Zukunft das Potential für die Kampfmannschaft haben. Wenn sie weiter gut trainieren – nicht nur über fünf, sechs Monate sondern über einen längeren Zeitraum – sehe ich einige Spieler, die das Zeug zum Stammspieler in der Kampfmannschaft haben.
Sportreport: Welchen Spielern trauen Sie den Sprung zu?
Tommy Samuelsson: Das ist schwer zu sagen. Man weiß bei einem jungen Spieler nie, wie die Entwicklung weitergeht. Im Nachwuchsbereich muss man mit viel Geduld arbeiten. Da kann man nichts erzwingen. Denn es gibt viel zu trainieren. Nicht nur körperlich, sondern auch im mentalen Bereich. Aber auch die Regelmäßigkeit und Intensität des Trainings ist sehr wichtig. Natürlich ist aber auch der Wettkampf wichtig. Daher ist es im Moment sehr gut, dass die jungen Spieler im Moment zwei bis dreimal pro Woche spielen. Denn auch durch regelmäßige Spielsituationen entwickeln sich die Spieler weiter.
Sportreport: Sie waren als Spieler und als Trainer in Wien. Wie haben sich die Capitals in diesem Zeitraum weiterentwickelt? Wo gibt es, im Vergleich zu Ihrer Heimat Schweden, noch Aufholbedarf?
Tommy Samuelsson: Das ist schwer zu sagen. Man hat in den letzten Jahren sehr, sehr viel und gut in Wien gearbeitet. Der letzte Schritt war der Ausbau der Halle. Das Umfeld hier ist unglaublich. Darum finde ich auch, wenn wir über junge Spieler sprechen, muss man klar sagen, dass wir in Wien alle Möglichkeiten haben.
Sportreport: Den Capitals droht die Zwischenrunde. Mit Graz und Villach drohen dort zwei sehr starke Gegner. Was passiert, wenn die Capitals die Qualifikation für das Playoff-Viertelfinale nicht schaffen? Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?
Tommy Samuelsson: Nein! Darüber habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich lebe für das Jetzt – für den nächsten Gegner, das nächste Spiel! Wir müssen jetzt von Spiel zu Spiel schauen. Danach können wir ein Resümee ziehen. Sollten wir die Lage kommen, werden wir das mit Sicherheit sehr genau analysieren. Aber ich denke positiv und vertraue meiner Mannschaft, dass wir es schaffen. (Anm.: Das Interview wurde vor dem Spiel gegen die Graz 99ers geführt)
Sportreport: Sportlich läuft es nicht nach Wunsch. Die Sportreport-Leser haben aber eine hohe Meinung über Sie und Ihre Qualitäten. Überrascht Sie ein solches Feedback? Überrascht es Sie, dass es verhältnismäßig wenig Kritik an Ihnen gibt?
Tommy Samuelsson: (überlegt kurz) Wenn es nicht läuft, dann bin ich dafür verantwortlich. Das weiß ich – so ist der Job! Ich verstehe Menschen, die sich um unsere Situation kümmern und auch Kritik äußern. Das ist völlig normal. Ich finde es sogar positiv, dass sich Menschen und Fans ihre Gedanken machen. Dann wissen wir, dass wir Ihnen viel bedeuten.
Sportreport: Den Menschen in Österreich – besonders in Wien – wird eine negative Grundeinstellung nachgesagt. Sehen die Menschen hier alles immer zu negativ oder ist das ein Klischee? Wie sehen Sie es als Skandinavier?
Tommy Samuelsson: Ich finde nicht, dass man hier alles sehr negativ sieht. In Skandinavien ist es definitiv schlimmer! In unserer sportlichen Situation ist es wichtig, positiv zu bleiben und zu denken. So können wir die Situation leichter überstehen. Negative Energie blockiert dich – in allen Lebenslagen!
Sportreport: Wie lautet Ihr persönliches Zwischenfazit nach rund sechs Monaten in Wien?
Tommy Samuelsson: Ich habe die Entscheidung letztes Jahr sehr früh getroffen. In unserem Job ist es so, dass man viel arbeiten musst. Besonders wenn es nicht läuft. Ich gebe 110 Prozent jeden Tag und hoffe, dass wir bald dort stehen, wo wir sein könnten. Ich geben jeden Tag das Beste. Für mich war es die richtige Entscheidung nach Wien zu kommen.
Sportreport: Die letzte Frage kommt wie immer traditionell aus der Redaktion. Wer stellt die härteren Fragen. Die Sportreport-Leser oder Sportjournalisten?
Tommy Samuelsson: Es gehört zu Eurem Job als Sportjournalist harte Fragen oder Kritik zu stellen. Das muss man hinnehmen. Das ist Teil des Jobs. Ich habe überhaupt keine Probleme damit. Mein Ziel war es immer, zu arbeiten und mich weiterzuentwickeln. Da gibt es natürlich Phasen im Laufe einer Saison und einer Karriere, in denen es nicht nach Wunsch läuft. Aber das ist normal! Dafür muss man auch Lösungen finden. Ich finde aber die Fragen Ihrer Leser sehr gut und analytisch gestellt. Es hat mir großen Spaß gemacht.
Sportreport: Klingt nach einem „klassischen Unentschieden“?!
Tommy Samuelsson: Ja – kann man so sehen.
Das Gespräch führte Thomas Muck
10.01.2012