Michael Holy: Du musst es im Leben geschehen lassen!

Bowling, Wien, Michael Holy

Sportreport traf einen außergewöhnlichen Sportler. Michael Holy ist seit über zwei Jahrzehnten eine fixe Größe in der österreichischen Bowling-Szene. Dabei verfügt er auf dem rechten Auge nur über 20 Prozent Sehkraft – am linken Auge ist er blind.

Sportreport: Michi, was ist dein Antrieb Bowling zu spielen?
Michael Holy: Ich habe mit Bowling vor etwa 25 Jahren begonnen. Damals noch mit relativ einfachen Mitteln und falschen Trainingsmethoden (schmunzelt). Ich habe dann sieben Jahre lang Bowling wirklich gelernt. Aufgrund einer Krankheit habe ich vor etlichen Jahren mein Augenlicht fast zur Gänze verloren. Ich war damals in der höchsten Spielklasse – der Wiener Liga – aktiv. Einige Jahre habe ich dann in der zweithöchsten Liga gespielt. Ich war stets unter den ersten 40, 50 in ganz Österreich! Nach meiner Augenoperation habe ich nicht gewusst, ob ich überhaupt jemals wieder eine Bowlingkugel in die Hand nehmen darf. Mittlerweile darf ich es wieder! Mir kommt es momentan zu Gute, dass ich die Bewegung gut gelernt habe. Wenn ich es passieren lasse und nichts erzwinge dann schaut das sehr gut aus – von der Technik und vom Resultat! Wenn ich selbst eingreife und zuviel möchte dann wird’s gefährlich! Andere Spieler können einen technischen Fehler korrigieren – ich nicht! Dafür sehe ich zu wenig. Wenn ich aber meine Bewegung spiele und den Ball richtig freigebe, dann ist es solides Paket. Einen Vorteil habe ich im Moment von Haus aus: Wenn mir ein Spieler auf der linken Bahn hineinläuft dann sehe ich ihm nicht. Ich bin am linken Auge komplett blind. Von der linken Seite stört mich niemand in meiner Konzentration. Andere Spieler erschrecken. Einige Gegner wundern sich, dass sie mich trotz meines Handicaps nicht immer schlagen können – es gehört auch viel Gefühl zu diesem Sport. Mein Antrieb immer noch Bowling zu spielen? Ich kenne die meisten Leute noch von früher. Es macht mir großen Spaß. Es ist eine witzige Sportart. Manchmal ärgert man sich auch (schmunzelt). Außerdem bin ich nicht komplett abgeschottet. Obwohl ich einen Bescheid habe, dass ich zu 100% behindert bin, gehe ich trotzdem noch arbeiten. Ich will kein Fall für das soziale Netzwerk des Staates sein.

Sportreport: Bowling-Spieler erklären immer, dass sie den „Ball auf eine Latte“ hinlegen und er dann in Richtung des „Einser-Pins“ hinläuft. Mit deiner Seheinschränkung: Wie machst du es? Wie orientierst du dich auf der Bahn?
Michael Holy: Auf der Bahn orientiere ich mich nach den Punkten, die im Anlauf sind. Sie stellen eigentlich die Pin-Reihe dar wie sie am Ende der Bahn steht. Der mittlere Punkt ist in der Regel etwas dicker. Das ist auch der mittlere – der Einser-Pin – den man in der Regel treffen sollte. Egal ob man von der linken oder von der rechten Seite spielt. Daran kann man sich orientieren. Ich muss mir dann anschauen wie sich der Ball verhält. Dreht er mehr in Richtung oder weniger. Mit diesen Informationen muss ich dann meinen Wurf und auch den Anlauf nachjustieren. Bei einem kleinen Fehler geht der Wurf am Ziel vorbei. Solange aber die Bewegung passt, ist es in Ordnung. Das ist ein eingelernter Rhythmus wie Radfahren. Das verlernt man in der Regel nicht. Denn der bleibt immer gleich. Wenn ich es passieren lasse ist mein Spiel auch erfolgreich. Sobald ich aber eingreife und nicht nur die eingelernte Technik spiele, stimmt auch die Bewegung nicht mehr.

Sportreport: Für jeden Bowling-Spieler sind zwölf Strikes – das perfekte Spiel – das Ziel. Ergebnis wären dann die perfekten 300. Aber Pins bleiben stehen. Wie siehst du, welcher Pin oder welche Kombinationen stehen?
Michael Holy: Ich habe zwar ein eingeschränktes Sichtfeld aber die vordere Reihe sehe ich. So weiß ich, welche Pins stehen. Wenn jetzt aber zwei direkt hintereinander stehen, kann ich das nicht sehen. Bowling ist aber eine sehr faire Sportart. Nicht nur Freunde, sondern auch Gegner weisen mich dann darauf hin, dass hier noch ein Pin zusätzlich steht. Im Endeffekt weiß ich, wo der erste Pin steht. Aufgrund der Erfahrung weiß ich dann, was ich auf der Bahn tun muss. Dadurch weiß ich dann die ungefähre Linie die der Ball haben muss. Dann kommt natürlich wieder dazu, dass ich meine Technik, meinen Anlauf spielen muss.

Sportreport: Würdest du dich als Gefühlsspieler bezeichnen?
Michael Holy: Das muss ich unbedingt sein! Denn ich kann nicht rein nach der ‚Latte auf der Bahn’ spielen. Ich muss nach Gefühl agieren. Weil ich die Latten nicht sehe. Ich vergleiche es gerne mit dem Skifahren. Ein Benjamin Raich oder ein Hermann Maier früher – die überlegen nicht lange, wie sie einen Schwung ansetzen – sie machen ihn einfach. Beim Bowling ist es auch so. Man stellt sich hin, nimmt den Ball und spielt seine Technik auf der Bahn. Natürlich ist auch das Material sehr wichtig. Die Bohrung muss an die Finger angepasst sein. Das richtige Material zu den richtigen Bahnenverhältnissen mit der richtigen Technik. Welches Material richtig ist, das ist am Ende auch eine Gefühlssache.

Sportreport: Du hast auch die Ausbildung zum Bowling-Trainer. Was würdest du einem unterdurchschnittlichen Spieler raten?
Michael Holy: Die Grundbewegung muss eine ordentliche, solide sein! Irgendwann sollte diese Grundbewegung durch das Training automatisiert werden. Das um auf ist der Anlauf. Die vier oder fünf Schritte müssen rhythmisch sein und müssen passen. Wenn ein Spieler dann soweit ist, kann er über besseres Material nachdenken oder über andere Linien etc.

Sportreport: Würdest du sagen, dass – egal welche Technik du spielst – am Ende nur das Resultat zählt?
Michael Holy: Grundsätzlich Ja! Es gibt Spieler, die eine Technik spielen die einfach himmelschreiend ist. Einer davon ist der derzeit erfolgreichste Bowlingspieler der Welt. Er trifft und räumt ab. Im Sport zählt nur das Resultat. So lange er trifft, hat er alle Rechte!

Sportreport: Was sind deine nächsten Ziele auf der Bowlingbahn?
Michael Holy: Generell möchte ich jede Partie so gut wie möglich spielen und immer abräumen. Das heißt, es sollte im besten Fall kein Pin nach dem zweiten Wurf mehr stehen. Ausgenommen sind natürlich unmögliche Stellungen die du nicht – oder nur sehr schwer abräumen kannst. Ich habe heuer die Mannschaft gewechselt. Ich hoffe, dass ich für sie eine Stütze sein kann und sie sich auf mich sportlich verlassen können. Ein Traum wäre es natürlich, bei den Vienna Open in die Finalrunde zu kommen. Aber das ist ein Traum. Den haben auch einige andere.

Sportreport: Wie realistisch ist es, dass du in absehbarer Zeit eine perfekte 300 erzielst?
Michael Holy: Ich habe schon zwei Mal die 300 gespielt. Waren beide vor dem Problem mit den Augen. Ich kenne also das Gefühl. Eine 300 muss passieren – man muss sie geschehen lassen. So etwas kann man nicht erzwingen. Das Problem ist nicht die Technik oder die Bewegung. In den letzten Frames kommt die mentale Komponente hinzu. Denn irgendwann beginnst du, dir unterbewusst Druck aufzulegen. Aber eine 300 musst du passieren lassen.

Sportreport: Dass man im Bowling Dinge „passieren lassen muss“ – färbt eine solche Einstellung auf andere Teile des Lebens ab?
Michael Holy: Ja! Bei mir zum Beispiel im Büro ist so. Natürlich ärgere ich mich über bestimmte Dinge. Ich arbeite für ein Ministerium. Wenn ein Antragsteller vielleicht einen schlechten Tag hat oder nervös ist, dann merkt man das. Wenn ich dann negativ der Situation gegenüber eingestellt bin, wird sie negativ bleiben. Nur so hilfst du Menschen mit denen zu tun hast. Es ist dann einfach so, dass du mit dieser Einstellung im Leben einiges leichter machst.

Sportreport: Würdest du Menschen raten, zum Bowling zu kommen?
Michael Holy: Durch den Sport habe ich Selbstdisziplin gelernt. Denn ohne die kannst du diesen Sport einfach nicht erlernen oder ausüben. Du lernst durch den Sport, dich auf Veränderungen besser einzustellen. Der polnische Formel-1-Fahrer Robert Kubica war bei den Vienna Open. Da hat er gemeint, dass Bowling extrem viel Feintuning verlangt. In einigen Punkten soll es laut seiner Aussage ähnlich schwierig wie in der Formel 1 sein. Ich habe mit Leuten aus anderen Sportarten gesprochen und die haben gemeint, dass die Technik schwieriger zu erlernten ist als jene im Golf. Die Kugel im Bowling hat etwa sechs Kilo – der Golfschläger etwa einen halben.

Das Gespräch führte Thomas Muck

29.07.2011