Zum ersten Mal seit der Saison 2009/10 konnten sich die Graz 99ers letztes Jahr zwei Mal hintereinander für die Playoffs qualifizieren. Das Team von Langzeitcoach Doug Mason schaffte es 2018/19 sogar bis ins Halbfinale, in der vergangenen Post-Season gestaltete sich die langatmige Serie gegen die Vienna Capitals absolut offen. Doch können sich die Steirer, die im Sommer ein ganz anderes Gesicht bekommen haben, langfristig in der oberen Tabellenhälfte festsetzen?
Head Coach Mason geht in seine fünfte Saison mit den Grazern. Der kanadisch-niederländische Cheftrainer führte die 99ers bereits drei Mal in die Playoffs und konnte die Steirer sogar in die Champions Hockey League bringen. Der große Wurf fehlt dem 65-Jährigen jedoch weiterhin.
Im Tor haben die Murstädter gleich drei Abgänge zu verzeichnen. Die beiden Veteranen Christopher Nihlstorp und Thomas Höneckl haben den Verein vertragslos verlassen, die Leihe von Oliver Dackell wurde nicht verlängert.
Der neue Starter bei den Grazern ist der britische Nationaltorhüter und zweifacher britischer Meister Ben Bowns. Der Engländer spielte in den vergangenen sechs Jahren für die Cardiff Devils und stand mit den Walisern drei Mal im Finale der EIHL.
Sein BackUp ist der einzige Torhüter, den die 99ers aus der vergangenen Saison mitgenommen haben. Der 20-jährige Felix Nussbacher wartet noch auf seinen ersten EBEL/ICEHL-Einsatz, zeigte für die Eishockeyakademie Steiermark in den letzten Jahren jedoch solide Leistungen.
Den größten Umbau hat die Defensivabteilung der Steirer hinter sich. Von vier Legionären wurde nur Charlie Dodero verlängert. Robin Weihager musste Graz nach seiner mit Abstand schwächsten Saison den den 99ers verlassen. Karl Johansson kehrte in seine Heimat Schweden zurück, während Trevor Hamilton noch vereinslos ist. Ebenfalls nicht mehr im Aufgebot stehen die jungen Österreicher Lukas Färber und Alexander Winkler, die in der vergangenen Saison jedoch nur auf jeweils vier Einsätze gekommen sind.
Neben Dodero wurden zudem auch Kevin Moderer, Erik Kirchschläger, Philipp Lindner und Amadeus Egger gehalten. Kapitän Oliver Setzinger wird von den 99ers als Stürmer geführt, wird aufgrund der dünnen Verteidigungsriege wohl jedoch in der Defensive zum Einsatz kommen.
Der einzige Neuzugang ist EBEL-Veteran Mario Altmann. Der 33-jährige Wiener ist jedoch seit einigen Jahren auf dem absteigenden Ast seiner Karriere und hat keinen Anspruch auf den Status eines Top-Verteidigers.
Ohne einer weiteren Verpflichtung ist die Defensive der Grazer wohl nicht im Stande, mit der Konkurrenz mitzuhalten, und könnte den Steirern zum Verhängnis werden.
Trotz einiger namhafter Abgänge ist die Offensive weiterhin das Herzstück der Murstädter. Mit Joakim Hillding, Matt Garbowsky und Zintis Zusevics haben drei wichtige Stützen den Verein verlassen, zudem sind auch Sebastian Collberg, Dwight King und einige kurzzeitig engagierte Legionäre nicht mehr Teil des Kaders.
Neben Verlängerungen für alle unter Vertrag stehenden Österreicher, von denen jedoch nur Daniel Oberkofler als wichtige Stütze fungieren kann, wurden nur die zwei Legionäre Ken Ograjensek und Travis Oleksuk gehalten. Neu im Team sind unter anderem Joel Broda (HC Innsbruck) und Hunter Fejes (Black Wings Linz) die zuletzt mit starken Leistungen in der EBEL überzeugen konnten.
Zum ersten Mal in Europa unter Vertrag steht Parker MacKay. Der 26-jährige Kanadier lief in der vergangenen Saison nur sechsundzwanzig Mal für die Texas Stars in der AHL auf und konnte dort alles andere als überzeugen.
Aus dem hohen Norden stoßen Johan Porsberger (zuletzt bei AIK in der SHL) und Tony Cameranesi (zuletzt bei Stjernen in der norwegischen Eliteserien) zu den Grazern. Beide kommen mit guter Form an die Mur und waren bei ihren vorherigen Vereinen wichtige Stützen. Für Cameranesi ist es erst der zweite Arbeitgeber in Europa, Porsberger stand bisher noch nie außerhalb Schwedens unter Vertrag.
Für die Grazer steht und fällt ihr Erfolg in der kommenden Saison mit der Defensivabteilung. Auf dem Papier ist die Verteidigung der Murstädter deutlich schwächer als bei jenen Teams, mit denen sie sich voraussichtlich um das Mittelfeld der Liga messen werden. Wollen die 99ers die direkte Playoffqualifikation schaffen, muss Doug Mason wohl tief in die Trickkiste greifen.
Interessant wird vor allem, wie sich Ben Bowns an die IceHL anpassen kann. Dies könnte auch richtungsweisend für den zukünftigen Austausch zwischen österreichischem und britischem Eishockey werden und den tatsächlichen Niveauunterschied zwischen den beiden Ländern aufzeigen.
Aufgrund der vielen Unklarheiten und Fragezeichen bei allen Teams der Liga und des gute aufgestellten Sturms haben die Steirer realistische Chancen auf einen Top-6-Platz. Kann die Verteidigung jedoch nicht die nötige Stabilität liefern, könnte sich die Saison für die Grazer Eishockeyfans jedoch auch unangenehm gestalten.
für Sportreport: Lukas Hörmandinger
15.09.2020