
Sportreport-Leser fragen, Lyle Seitz antwortet. Im ersten Teil des Interviews mit Thomas Muck sind die Schiedsrichter das bestimmende Thema. Weiters nimmt der Director of Hockey Operations der Erste Bank Eishockey Liga zu anhaltenden Gerüchten Stellung und erläutert die Strafenauslegung (Anm.: Das Interview wurde vor dem vierten EBEL-Finalspiel geführt!).
Sportreport: Lyle Seitz, in den Playoffs müssen sie eine Zeit mit hoher Stressbelastung durch stehen. Wie sind sie für sie, und wie geht es ihnen eigentlich dabei?
Lyle Seitz: Gut! Alles ist wirklich gut, um ehrlich zu sein.
Sportreport: Wir haben 514 Mails nach unserer Interview-Ankündigung, etliche Tweets und Positings bekommen. In allen Mails stand für uns überraschenderweise immer ein Wort: Gerücht! Überrascht sie das?
Lyle Seitz: Nein! Was mich überrascht ist, dass 514 Leute die Leidenschaft haben und sich um das Spiel kümmern. Ich sehe es andersrum. Ich sage danke an eure Leserinnen und Leser, dass sie sich um das Spiel kümmern und darüber Gedanken machen. Ehrlich gesagt bin ich aber nicht überrascht.
Sportreport: Dann starten wir mit einem dieser Gerüchte. Stimmt es, dass sie den Schiedsrichtern die Order gegeben haben, weniger Strafen zu ahnden und etwas „härter“ spielen zu lassen?
Lyle Seitz: Gerücht! (schmunzelt) Das Spiel ist so, wie es die Teams spielen wollen. Wenn die Teams Eishockeyspielen wollen, dann sieht es manchmal so aus, als wären weniger Strafen, weil sie sehr diszipliniert und damit innerhalb der Regeln spielen.
Ein Fakt ist, dass jede Serie einen anderen „Heartbeat“ hat. Wir nennen es so oder Puls. Mit den unterschiedlichen Heartbeats muss auch der Referee einen anderen Job machen. Manchmal sieht es so, als würden sie aufgrund des Stils wie die Teams agieren mehr Strafen geben.
Wir sagen nicht: „Pfeif mehr oder weniger“ – wir sagen: „Orientiere dich am Heartbeat“. Wenn er schneller geht, musst du als Schiedsrichter auch schneller sein. Wenn er langsamer ist, dann bist du auch als Referee langsamer. Wir orientieren uns daran, was die Spieler auf dem Eis machen wollen.
Sportreport: Also ist es auch ein Gerücht, dass die Schiedsrichter weniger Haken, Stockschläge und ähnliche Fouls ahnden sollen?
Lyle Seitz: (antwortet bestimmt) Nein, nein, nein! Fakt ist, wir haben die Statistiken in einen Meeting (Anm.: das Treffen fand vor dem vierten Finale Vienna Capitals vs. Red Bull Salzburg statt) präsentiert. Für die letzten vier Jahre, die ich hier bin, und wo wir es beobachten, steht eines fest: die „aggressiven Strafen“ verdoppeln sich in den Playoffs. Die Spieler haben 54 Spiele in den Beinen und dann kommen die Playoffs. Wir freuen uns alle darauf, und dann kommen Emotionen hinein. Da wird härter gespielt. Die Checks werden zu Ende gefahren. In jeder Situation wird in die Ecken gefahren und jeder gibt in jeder Situation immer über 100 Prozent, auch wenn es mathematisch nicht möglich ist. Denn ihr sportliches Leben liegt da draußen. Da gibt es mehr „aggressive Strafen“ – Das ist nicht nur in unserer Liga sondern in jeder Liga. Das ist ein Fakt. Die Trainer motivieren die Spieler noch mehr und härter zu skaten und keine Strafen zu nehmen. Da gehen die Haken und Halten-Strafen automatisch hinunter. Weil die Spieler einfach noch härter am Eis kämpfen.
Sportreport: Laut Meinung unserer Leser – und auch meiner persönlichen – sind gefühlsmässig in diesen Bereich weniger Strafen ausgesprochen worden. Ein Eindruck der täuscht?
Lyle Seitz: Die „aggressiven Strafen“ sind zurückgegangen. Diese Statistik erstreckt sich vom ersten Spiel bis zum Semifinale. Die Finalserie ist da noch nicht eingerechnet. Die Halten- und Haken-Strafen sind etwas gestiegen. Am Ende werden wir wieder im selben Bereich der Strafen sein, wie im Vorjahr.
Sportreport: Manchmal hat man den Eindruck, dass es bei diesen Strafen eine Grauzone gibt. Ein Eindruck der täuscht oder gehen die Referees hier auch mit dem „Heartbeat“ des Spiels?
Lyle Seitz: Ich würde es nicht als Grauzone bezeichnen. Die Fans, zum Beispiel hier in Wien, supporten nur ihre Capitals. Sie buhen, weil sie aus ihrer Sicht eine Strafe sehen oder sie nicht sehen. Es mag vielleicht so aussehen als ob es hier eine Grauzone gibt.
In den ersten beiden Spielen der Finalserie musstest du als Referee überall hinsehen. Da gab es überall viel zu sehen. Zum Beispiel: die Vienna Capitals haben im ersten Spiel neun Strafen erhalten. Sechs davon waren abseits der Spielsituation. Da war der Puck oder der puckführende Spieler weit entfernt. Da mussten sich auch die Schiedsrichter dem Spiel anpassen. So gesehen haben sie Recht. Es ist der „Heartbeat des Spiels“. Jeder der Schiedsrichter weiß, was ein Haken ist und weiß ihn auch zu ahnden.
Sportreport: Wie sehen sie die Playoffs. Sind sie härter als in den Vorjahren oder ist es aus Ihrer Sicht gleichbleibend intensiv?
Lyle Seitz: Ich finde die Playoffs sehr aufregend. Ich habe jedes einzelne Spiel gesehen. Viele davon live. Wenn das nicht möglich war, dann auf Video. Persönlich muss ich sagen, dass es viele aufgregende Spiele gab.
Wir wollen Action auf dem Eis. Es ist ein physischer Kontaktsport. Wir wollen keine Verletzungen. Aber sie geschehen in einer Kontaktsportart. So wie im American Football oder in anderen ähnlichen Sportarten.
Wir wollen, dass die Fans für ihr Eintrittsgeld unterhalten werden. Spieler, Coaches und Referees tun ihren Job. Für mich waren es tolle Playoffs.
Sportreport: Stichwort Schiedsrichter. Niemand weiß wirklich, wie sich ein Schiedsrichter für die Playoffs qualifizieren konnte. Da geistern viele Gerüchte durch die Eishalle. Können sie uns hier aufklären nach welchen Kriterien dies geschah?
Lyle Seitz: Gerne! Die Schiedsrichter wurden aufgrund ihrer Leistung beurteilt, genauso wie Spieler. Wir haben Super-Visor und Coaches, die diese durchführen und die Spiele analyiseren. Es gibt Meetings, die starten etwa zum neuen Jahr. Da wird analysiert, wo wir den Schiedsrichter haben. Was sind seine Stärken und Schwächen. Zeigt seine Formkuve nach oben oder unten? Das können wir dabei erkennen. Vielleicht hat er auch Dinge abseits des Eises die ihn belasten oder ähnliches.
Die Beurteilung basiert auf einem Platzierungssystem. In der ersten Runde haben wir zwölf Head-Referees verwendet. In der zweiten Runde waren es acht, in der dritten sind es sechs. Wir befinden uns in einen sehr schwierigen Jahr, was die Leute nicht wissen. Wir werden nach dem vierten Finale sechs Referees eingesetzt haben. Wir haben sieben Hauptschiedsrichter und vier Linesman für IIHF-Turniere verloren. Die nehmen nicht „unsere untersten 4“ sondern nehmen unsere Topleute.
So haben wir unsere Probleme gehabt. Nicht, dass wir den Schiedsrichtern nicht vertrauen, die heute das vierte Spiele leiten. Es ist großartig, dass der Weltverband die Qualität unserer Schiedsrichter schätzt. Für uns ist die Aufgabe aber deutlich schwieriger, weil wir nicht auf alle Topleute zurückgreifen können.
Sportreport: Wie sieht die Bewertung der Schiedsrichter im Detail aus? Was sind die Kriterien?
Lyle Seitz: Leistung und Konstanz! Bist du als Schiedsrichter in einen Spiel konstant. Wir gehen dabei nicht von Spiel zu Spiel. Weil jedes Spiel hat einen eigenen „Heartbeat“, wie ich bereits gesagt habe. Aber bist du im Spiel konstant? Wir kommunizierst du, wie ist die Leistung im Skatingbereich. Es gibt keinen Schiedsrichter, der nicht weiß, was ein Haken ist. Aber! Hat er diesen Haken gesehen. Hat er sich gut auf den Schlittschuhen bewegt und konnte er damit den Haken sehen. Es ist in Wahrheit ein Paket. Wenn wir darüber sprechen, dann geht es um die Konstanz, um das Schlittschuhlaufen und die Kondition.
In der Qualifkationsrunde wissen wir nicht wer in den Playoffs am Eis stehen wird. Denn einige kommen in topform und andere nicht. Es hängt aber von der Serie ab. Schiedsrichter sind auch Menschen. Jeder hat einen eigenen Stil. Manche sind eher zurückhaltend und andere treten resolut auf. Wenn es eine aggressive Serie wird, dann benötigen wir auch aggressive Schiedsrichter. Wenn wir denken, dass es eher eine zurückhaltende Serie ist, dann können wir auch andere Schiedsrichter dorthin schicken. Wir wollen nicht, dass die Schiedsrichter im Mittelpunkt stehen. Da müssen wir uns auch anpassen. Da gibt es viele unterschiedliche Faktoren wer am Eis steht.
Sportreport: Viele Leser haben sie damit zitiert, dass Schiedsrichter „das dritte Team auf dem Eis sind“. Sowohl Heim- als auch Auswärtsteam sprechen mit den Medien. Die Schiedsrichter machen es nicht. Warum eigentlich? Ein Leser meinte überspitzt: „Vielleicht haben die Schiedsrichter „Angst vor Lob“, wenn sie eine korrekte Entscheidung treffen?“
Lyle Seitz: Diese Antwort ist sehr einfach. In den Medien gibt es großartige Menschen. Aber leider sind nicht alle so. Wie wir vor drei Jahren die Türen geöffnet haben begann es mit guten Fragen und Ansätzen. Aber es geht am Ende um gute Schlagzeilen! Es gibt keine guten Schlagzeilen, wenn die Schiedsrichter ihre Aufgabe sehr gut erfüllen. Wenn es einen Fehler gibt oder wenn man fühlt, dass etwas falsch läuft, dann ist es eine gute Schlagzeile. Jedes Mal haben sich die Ereignisse dann in eine falsche Richtung gedreht.
Vielleicht haben die Schiedsrichter Fehler auf dem Eis gemacht. Ja, sie machen Fehler. Das bedeutet aber nicht, dass wir damit in die Öffentlichkeit gehen müssen. Wir müssen davon lernen. Genauso wie ein Spieler, wenn er einen Fehlpass macht und daraus ein Gegentreffer resultiert. Wir sind alle nur Menschen.
Wir verstecken uns nicht vor den Medien. Wir fokussieren uns auf das Spiel. Darum bleibt auch der Schiedsrichterraum nach einen Spiel geschlossen. Auch davor ist der Raum bewacht – damit sich das Gespann zu 100 Prozent auf das Spiel konzentrieren kann.
24.04.2015