
In der WM-Qualifikation konnte Österreich gegen Wales und Serbien nur einen Punkt einfahren – am kommenden Wochenende geht es in der Bundesliga weiter, aber hey Fußball-Österreich, lass uns vorher mal über einige Punkte unterhalten. Ganz nüchtern, analytisch und ohne Emotionen. Ein Kommentar von Thomas Muck.
Diverse Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen haben sich bereits über die Frage aller Fragen den Kopf zerbrochen. „Ist das Nationalteam nun so gut wie in der EM-Qualifikation?“ oder „Sind wir auf dem Niveau, bevor Marcel Koller übernommen hat?“. Wer sich die unterschiedlichen Kommentare durchgelesen hat wird eines feststellen, die Meinungen gehen sehr weit auseinander. Von „Alles super, aber eine suboptimale, glücklose Phase“ bis zu „Wir haben uns rückwärts ins Mittelmaß entwickelt“ ist alles dabei.
Bleiben wir mal rein bei den Fakten. Das Nationalteam bekommt Gegentore, die es in der EM-Qualifikation nicht gegeben hat. Mal sind es individuelle Fehler, manchmal ist es schier Pech (Stichwort: Zweites Gegentor gegen Wales). Etliche Spieler sind in mit ihrer Leistungskurve bereits seit längerer Zeit hinter ihren Erwartungen zurück. Özcan, Wimmer, Dragovic, Baumgartlinger hatten zuletzt einen Stammplatz auf der Ersatzbank. Junuzovic spielt unter seinem Leistungsniveau und Janko klebt das Verletzungspech seit etlichen Monaten an den Fußballstiefeln. Keine guten Vorzeichen, um im Nationalteam als Leistungsträger aufzutreten. Weil es einfach zu viele Spieler gibt, die momentan Probleme haben. Personelle und taktische Alternativen wären vorhanden. Da war doch in der Vergangenheit auch schon mal was, oder?
Spieler die in ihren Vereinen Probleme haben auf die nötige Einsatzzeit zu kommen sind kein einmaliges Erlebnis in der Ära Koller. Die Nibelungentreue bei bestimmten Spielern des Schweizers sollte sich bis zum Kalenderjahr 2016 als goldrichtig erweisen. Wie einst ein Bundesliga-Trainer mir erklärte, benötigt man für diese Entscheidungen ein gewisses Gefühl. Momentan scheint das der Teamchef verloren zu haben.
Eines der ältesten Sprichworte besagt, dass man im Erfolgsfall viele Freunde hat. Wenn es aber nicht läuft, hat man viele Kritiker. So muss sich momentan Teamchef Koller vorkommen. Manche Kritik an seiner Person mag berechtigt sein. Ein Beispiel gefällig? Die bereits seit längerer Zeit kursierende Diskussion rund um David Alaba. Im zentralen Mittelfeld fehlt dem Bayern-Legionär schlichtweg die Erfahrung. Dies zeigt sich in einigen, kleinen Stellungsfehlern. Als gelernter 6er hätte er vielleicht den Schuss vor dem 0:1 abblocken können, so aber ging der Ball ins Tor.
Generell ist die Diskussion um Positionen im modernen Fußball von überschaubarer Produktivität. Eine eingespielte Mannschaft verändert ein 4-2-3-1 System je nach Spielsituation über ein 3-3-3-1, 3-5-2, 4-1-4-1, 3-4-3 bis zu einem 4-3-3. Selbst, wenn Alaba defensiv als linker Verteidiger agiert, in einer Druckperiode rückt er hoch bis ins zentrale Mittelfeld auf. Mit taktischer Flexibilität würde Alaba zwar defensiv links hinten, aber je nach Spielsituation, sich in unterschiedlichen Zonen des Spielfelds aufhalten. Flexibilität und Wille sind das Zauberwort – aber haben diese alle Beteiligten? Der öffentliche Auftritt spricht eine andere Sprache.
In den vergangenen Stunden stand der Bayern-Legionär, auch wegen eines Fotos, in der Kritik. In einer Diskothek ließ sich David Alaba mit zwei serbischen Nachwuchsspielern abbilden. Ein Skandal? Leider NEIN! Die öffentliche Aufregung wäre nachvollziehbar, wenn dieses Bild am Abend VOR dem Spiel entstanden wäre. ABER …
David Alaba muss aufpassen. Ein Spieler, der am Sprung zum Weltstar scheint und auch wirtschaftlich eine Marke ist, muss auf seinen Außenauftritt besser achten. Wir leben zwar in Zeiten, in denen überspitzt gesagt „jeder Pfurz ein Skandal“ ist, aber ständig „leicht negative Anekdoten“ hinterlassen irgendwann Spuren. In der öffentlichen Wahrnehmung, und auch bei den Partnern aus der Wirtschaft.
Noch ein Punkt zum Nationalteam. Teamchef Koller wird sich definitiv hinterfragen müssen. Im Kalenderjahr 2016 war definitiv nicht alles schlecht oder falsch. Phasenweise konnte man den Eindruck gewinnen, dass der Schweizer die falschen Rückschlüsse aus negativen Erlebnissen zieht. Die Frage, ob er Vertrauen zu Bundesliga-Spielern in Hochform (Stichwort: Alar) hat, würde definitiv den Rahmen sprengen.
Aber geschätzte Fußball-Nation: Nicht nur das Nationalteam sondern auch die acht Millionen Teamchefs machen Grund zur Sorge. Die österreichische Mentalität ist in diesem Bezug extrem. Von „Weltmeistertitel bei der Europameisterschaft“ bis zur „Auflösung des heimischen Fußballs“ ist es ein sehr schmaler Grad! So ist es aber häufig im Leben. Es fehlt der nüchterne Mittelweg. Österreich war und wird mittelfristig kein Kandidat auf die WM-Krone sein. „Wir“ sind aber auch nicht so schlecht, um die Arbeit der letzten Jahre grundlegend in Frage zu stellen.
Am Wochenende ist es nun wieder so weit. Die Bundesliga kehrt nach der Länderspielpause wieder zurück. Die Jagd auf Überraschungstabellenführer Sturm Graz geht weiter. Herr und Frau Österreicher machen die heimische Liga gerne schlecht – auch die Journalisten. Warum eigentlich? Zeit für nüchterne Fakten: Drei Bundesligisten stehen in der Gruppenphase der Europa League. In der heimischen Liga gab es heuer – persönlich gefühlt – einige Spiele, die man in größeren Ligen getrost als „rassig“ und „hochklassig“ bezeichnen würde. Natürlich gab es auch Begegnungen, die unter die Rubrik schwach oder ängstlich einzuordnen sind. ABER …
Das ist kein rein österreichisches Phänomen. Warum? Die Begründung ist in Wahrheit einfach. Das Ablaufdatum von Trainern wird immer kürzer. Ein kurzer negativer Lauf kann schon den Jobverlust bedeuten. Logischerweise agieren da viele Mannschaften zu Beginn vorsichtig. Offensive Feuerwerke werden immer seltener, weil die kleinen Teams in der Regel defensiv geschickt fungieren. Auf heimischer Bühne gibt es auch kein Team, welches auf heimischer Ebene ähnlich gut geht wie dem FC Bayern München. Dem deutschen Rekordmeister ist es aufgrund der sehr passiven Spielweise des Gegners, in vielen Bundesliga-Spielen sehr einfach gemacht worden.
Rein nüchtern betrachtet könnte man manchen Spielern oder Teams durchaus berechtigt „mangelnde Explosivität“ vorwerfen. Das gibt es aber auf internationaler- und nationaler Ebene. Die tipico Bundesliga ist also in einigen Punkten genauso gut oder schlecht wie andere Meisterschaften im Vergleichsfall.
Ist das Glas im heimischen Fußball nun „halb voll“ oder „halb leer“? Auch hier liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der sprichwörtlichen Mitte. Wie in anderen Aspekten des Lebens würde dem heimischen Fußball eine gewisse Portion „nüchterner Realismus“ gut tun. Machen SIE in den kommenden Tagen vielleicht den Anfang und versuchen sie das, was man einigen Fußballern gerne vorwirft. Tun Sie den ersten Schritt in diese Richtung!
15.10.2016