KAC, Headcoach Petri Matikainen

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NHL Playoffs, Boston vs. Carolina: Der Puck hängt vor dem Tor der Hurricanes in der Luft. Bruins-Stürmer Ritchie reagiert am schnellsten und befördert das Spielgerät per Hand in Richtung Carolinas Torhüter Petr Mrázek, der sofort seinen Fanghandschuh auf die Scheibe fallen lässt.

Ein Pfiff der Schiedsrichter bleibt jedoch aus und Anders Bjork kann den Puck aus Mrázeks Fanghand befreien und ihn in den Slot befördern, wo Charlie Coyle bereits lauert. Der Stürmer trifft ins nunmehr weit offene Tor und die Bruins führen mit 2:1.

Die Entscheidung der Schiedsrichter liegt auf Tor, doch Hurricanes-Coach Rod Brind’Amour will das nicht hinnehmen. Bevor er den Videobeweis einfordert, will er sich bei den Schiedsrichtern erkundigen, wie diese die Situation einschätzen. Da jedoch keine Antwort von den Offiziellen kommt, muss Brind’Amour ohne klare Informationen eine Entscheidung treffen: sollen die Schiedsrichter einen möglichen Handpass von Ritchie oder eine mögliche Torhüterbehinderung durch Bjork untersuchen? Carolinas Head Coach entscheidet sich für den Handpass. Die Schiedsrichter geben nach Studium des Videomaterials jedoch bekannt, dass Mrázek den Puck unter Kontrolle hatte und deswegen kein Handpass in Frage käme.

Nach dem Spiel, dass Carolina 3:4 nach Overtime verliert, lässt Brind’Amour vor den Medien seinem Frust freien Lauf. Die Liga sei in diesen Sachen „ein Witz“. Hätten ihm die Schiedsrichter gesagt, ob Mrázek den Puck in ihren Augen unter Kontrolle gehabt hatte oder nicht, wäre seine Entscheidung, gegen welches Vergehen er den Videobeweise einzusetzen hätte, klar gewesen. Hätte Mrázek den Puck unter Kontrolle gehabt, hätten die Hurricanes auf Torhüterbehinderung plädieren können. Wäre der Puck als frei im Spiel deklariert worden, wäre der Videobeweis aufgrund eines Handpasses gefordert worden.

Die NHL hat gegen Brind’Amour nach seinen Aussagen eine Strafe über 25.000$ verhängt. Sollte der Head Coach der Canes innerhalb des nächsten Jahres erneut in ähnlicher Weise reagieren, werden noch einmal 25.000$ fällig.

Dieser Vorfall, der auf NHL.com nachverfolgt werden kann, hat erneut die Stimmen für eine Überholung des Videobeweises laut gemacht. Dabei geht es jedoch nicht darum, dass Coyle’s Tor gegeben wurde, sondern dass Brind’Amour eine Entscheidung treffen musste, gegen welches Vergehen er Einspruch einlegen wollte. Da er sich für das falsche entschieden hatte, wurde seine Challenge abgelehnt. In der Begründung, warum kein Handpass zustande kommen konnte, liegt aber auch gleichzeitig die Begründung, warum das Tor aufgrund einer Torhüterbehinderung nicht gegeben hätte werden dürfen. Da der Videobeweis jedoch aufgrund eines Handpasses und nicht einer Interference konsultiert wurde, konnten die Schiedsrichter den Treffer nur zählen lassen.

Wäre es im Gegensatz dazu möglich, einfach einen gesamten Spielzug unter Review zu stellen, oder wäre es den Unparteiischen erlaubt, während eines Videobeweises ein Vergehen, das eigentlich nicht unter Beobachtung steht, trotzdem zu bestrafen, hätte dieser Treffer nicht zählen dürfen.

Jenen, die nun befürchten, solch eine Lockerung würde dazu führen, dass der Videobeweis missbrauch beziehungsweise zu oft eingesetzt werden würde, obwohl kein dringender Verdacht besteht, sei in Erinnerung gerufen, dass in vielen Ligen der Welt – die NHL eingeschlossen – seit einiger Zeit eine Bestrafung auf fehlgeschlagene Challenges steht. Wird nach einem Videobeweis also dem Kläger nicht recht gegeben, erhält dessen Team eine Zwei-Minuten-Strafe, weil er das Spiel unnötigerweise verzögert hat.

In Kombination mit dieser Strafe spricht also nichts dagegen, sowohl Schiedsrichtern als auch Trainern ihre Aufgabe zu erleichtern. Denn schlussendlich ist der Videobeweis dafür Teil dieses Sports um Spiele fair zu gestalten und etwaige Fehlentscheidungen der Offiziellen ausbessern zu können.

Was sollte also getan werden:
Head Coaches sollten das Recht haben, eine gesamte Spielszene unter Review zu stellen, und sich nicht spekulativ auf ein einziges Vergehen pro Videobeweis versteifen müssen.
Schiedsrichter sollten die Möglichkeit erhalten, während eines Reviews alle Vergehen, die im für die jeweilige Szene verfügbaren Videomaterial einwandfrei zu beobachten sind, zu bestrafen und gleichzeitig fälschlicherweise ausgesprochene Strafen revidieren – egal, um welches Team es sich handelt. So können übersehene Fouls trotzdem noch mit Strafen belegt werden und zu Unrecht bestrafte Spieler von ihren Strafen erlösen, was im Endeffekt zu einem faireren Spiel führt.

für Sportreport: Lukas Hörmandinger

18.08.2020